Kraft zum Neuanfang, Teil 2: Bin ich dabei?
Gottesdienst  am 30.01.2000
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
letzten Sonntag hat uns die Frage: "Wie geht es meiner Gemeinde?" beschäftigt. Vielleicht ist diese Frage mit Ihnen durch die Woche gegangen. Ich bekam selten so viele konkrete Gebetsanliegen genannt wie nach dem letzten Gottesdienst. Und ich meine, das ist ein deutliches Zeichen, wie sehr wir Gemeinde brauchen. Da sind Schwestern und Brüder, die Jesus Christus uns als die neue Familie zur Seite stellt und deren Ergehen geht mich etwas an. Für die will ich mich einsetzen und sie im Gebet unterstützen. 
Heute werden wir in der Autobiographie Nehemias weitergeführt. Wir hörten es in der Lesung von Nehemia 2, Nehemia kam mit seiner kleinen Schutztruppe, die König Artaxerxes ihm mitgegeben hatte, in Jerusalem an. Und wir können uns vielleicht vorstellen, welche Gedanken ihn da bewegt haben werden. Wollen die Jerusalemer sich beim Aufbau JerusalemsAufbau der Stadt überhaupt helfen lassen? Haben sie sich nach 140 Jahren Trümmern nicht längst damit abgefunden und lachen Nehemia aus? Kann er denn als - für die Jerusalemer - fremder Mann überhaupt etwas ausrichten von Gottes Auftrag? Viele Fragen, die den Nehemia bewegt haben werden. Und so stellt er sich in Jerusalem auch nicht gleich voller Selbstbewusstsein auf den Markt und ruft die Leute zusammen, sondern bleibt 3 Tage still und unerkannt in der Stadt. Nehemia war kein Besserwisser und Alleskönner. Er wusste, all seine Pläne, ja, der ganze Wiederaufbau der Stadt war Gottes Sache. Er wartete auf den Zeitpunkt, den Gott ihm zeigen würde. Und so war er innerlich gut vorbereitet, als er nach 3 Tagen endlich bei Nacht mit ein paar Begleitern die Stadtmauer besichtigte. Er erzählt von diesen Trümmern, die er da sehr intensiv betrachtet. Unterschwellig höre ich heraus, dass Nehemia diese Trümmer buchstäblich umbetete. Jeder Felsbrocken, der ihm da im Weg lag, wurde zu einem Anstoß, Gott um Hilfe zu bitten. Ihn daran zu erinnern, dass er den Wiederaufbau wollte. Ihn darum zu bitten, dass er die Leute willig machte mitzuhelfen. 
Hier kommen wir zum Zentrum von Nehemias Leben - dem Gebet in jeder Lebenslage. Nehemia betete, als er die Anwort auf seine Frage: Wie geht es meiner Gemeinde" hörte. Nehemia schickte ein Stoßgebet zum Himmel, als der König ihn auf seine Gemütsverfassung ansprach. Und nun geben die Trümmer der Stadtmauer Anlass, den Jammer vor Gott zu bringen und von ihm die Wende zu erwarten. 
Das vertrauensvolle Gebet zieht sich wie ein roter Faden durch Nehemias Auftrag. Es zieht sich auch wie ein roter Faden durch alle Aufgaben und Projekte, die wir bekommen. Wo geschieht dieses Umbeten der Aufgaben heute? Da hat mancher einen Freund, mit dem er regelmäßig zusammen kommt, die Bibel liest, betet. In der geschützten Umgebung dieser Beziehung wächst Vertrauen. Hier ist Raum, um die Trümmer des Lebens zu umbeten, auf dass Neues entsteht. In unseren Hauskreisen erleben wir Stunden, in denen wir uns sehr nahe kommen und unsere Trümmer vor Gott ausbreiten. Im Gebet bringen wir sie gegenseitig vor Gott und erfahren seine Hilfe. Auch vor dem Gottesdienst in unserem kurzen Gebetskreis umbeten wir Menschen, die die Hilfe Gottes brauchen, umbeten wir unsere Gemeinde, umbeten wir die Kriege und Leiden dieser Welt. Doch ich meine, unser Gebet - wie Nehemia uns zeigt, der Start für jeden Neuanfang - sollte noch mehr Raum in unserem Gemeindeleben einnehmen. Wie schon in der letzten Woche angesprochen, denke ich an einen Gebetskreis am Morgen, der nicht auf eine viertel Stunde begrenzt ist und genug Raum bietet, die Anliegen vor Gott zu nennen und vor allem auf Antwort zu warten. Bedenken Sie das bitte auch weiter und sagen Sie Bescheid, wenn Sie sich zu dieser Art Mitarbeit gerufen wissen.
Nehemias Umbeten bekommt Antwort. Er weiß nun, dass es Zeit ist, an die Öffentlichkeit zu treten. Er ruft die einflussreichen Leute der Stadt zusammen und erzählt ihnen von Gottes Auftrag, der Stadt wieder sichere Mauern zu geben. Das Gebet hat auch an den Leuten gewirkt. Sie stimmen freudig zu und packen voller Eifer die Aufgabe an. Entgegen allen Erfahrungen - schließlich hatte die Mauer schon 140 Jahre so dagelegen - bringen sie keine Bedenken hervor, reden Nehemia die Sache nicht aus, wollen nicht lieber ihre private Ruhe haben. Sie haben von Nehemia gehört, wie er Gottes Führung erlebt hatte. Und diesem Gott wollen sie nun auch vertrauen. 
Besondere Aufmerksamkeit möchte ich jetzt auf die Liste der Bauleute richten, die uns Nehemia nun aufzählt. Über 30 Gruppen nennt er, die sich am Aufbau der Stadtmauer beteiligt hatten. Vielleicht denken Sie jetzt: Was soll ich mit einer langweiligen Liste anfangen, ich kenne ja doch niemand. Das ist sicher ein Grund schnell darüber hinweg zu lesen. Wenn wir damit rechnen könnten, unsern Nachbarn oder unsere Cousine in der Liste zu finden, dann wäre das sicher eine spannende Sache. Und wir hätten was zu erzählen - du, ich kenne jemand, der war damals dabei! Vielleicht denken Sie auch: Seit wann stehen denn Menschen im Mittelpunkt des Gottesdienstes, sollen wir diese Leute denn bewundern? In der Bibel werden solche Listen nicht aufbewahrt, um Menschen Denkmäler zu setzen. Vielmehr ist diese Liste ein Denkmal für Gottes Taten an uns Menschen. Sie ist ein Denkmal für Gottes Barmherzigkeit über Trümmern und Zerstörung. Die Liste ist ein Zeugnis, wie Gott sein Volk zusammen ruft, um ihm wieder Mauern zu geben, Geborgenheit, Sicherheit, ein Zentrum. Und sie ist Zeugnis, wie Menschen sich von Gottes Geist erfüllen lassen und ihre Begeisterung in Bewegung setzt. So wird diese Liste auch zu einer Anleitung, wie wir hier im Main-Taunus-Kreis an Gottes Bauwerk zur Mitarbeit gerufen werden und er jede und jeden von uns einsetzen will.
Ich lese einige ausgewählte Verse aus der Liste der Bauleute Nehemia, Kapitel 3,1-3.5.12.31-32:
Der Oberste Priester Eljaschib und seine Brüder, die Priester, bauten das Schafstor wieder auf, weihten es und setzten die Torflügel ein. Sie weihten auch das angrenzende Mauerstück bis zum "Turm der Hundert" und zum Hananel-Turm. Die Einwohner von Jericho bauten den daran anschließenden Mauerabschnitt wieder auf.
Den nächsten Abschnitt baute Sakkur, der Sohn von Imri, wieder auf. Die Sippe Senaa baute das Fischtor wieder auf. Sie deckten es mit Balken, setzten die Torflügel ein und brachten die Riegel und ihre Sicherungen an. Die Einwohner von Tekoa besserten den anschließenden Mauerabschnitt aus. Aber die vornehmen Männer dieser Stadt weigerten sich, die Arbeit aufzunehmen, die ihnen von mir zugewiesen wurde. Schallum, der Sohn von Lohesch, Vorsteher der anderen Hälfte des Verwaltungsbezirks Jerusalem, setzte den anschließenden Abschnitt instand, zusammen mit seinen Töchtern. Malkija, der Goldschmied, setzte den anschließenden Teil instand, bis zum Haus der Tempeldiener und der Händler, gegenüber dem Wachttor, und bis zum Aufgang an der Nordostecke. Den Mauerabschnitt von dort bis zum Schafstor setzten die Goldschmiede und die Händler instand.

Scheinbar ist eine solche Liste ja eine bloße Aufzählung von Leuten, aber hier stoßen wir doch auf einige Besonderheiten. Die sind es wert, dass wir sie uns genauer anschauen.
Da wird berichtet, dass Leute aus dem Umland, z. B. aus Jericho und Tekoa an der Mauer mitbauten. Sie waren nicht dazu verpflichtet. Wahrscheinlich hatten sie von einem zerstörten Jerusalem auch mehr als an einer befestigten Stadt, die wieder für sich selbst sorgen konnte und nicht mehr auf die Hilfe der Nachbarn angewiesen war. Und dennoch lassen sie sich dazu rufen, fühlen sich von Gottes Geist angetrieben, der Gemeinde Mauern und einen neuen Halt zu geben. Doch es wird auch berichtet, dass die vornehmen Männer aus Tekoa nicht mitmachten. Sie weigerten sich, Steine zu schleppen und Fugen abzudichten. Sie empfanden das wohl als ihnen nicht würdig, als Zwangsarbeit, für die sie zu fein waren. Gottes Geist verpflichtet Menschen nicht zwangsweise. Sie und wir haben eine freie Entscheidung, uns einbinden zu lassen oder nicht Wir können entscheiden, unseren sicheren Platz zu verlassen, um auf Gottes Ruf zu hören, oder sitzen zu bleiben und dadurch auch das Wirken Gottes nicht zu erfahren.
Eine andere Auffälligkeit: Schallum arbeitete mit seinen Töchtern an der Mauer. Auch Frauen waren offensichtlich an dieser Männerarbeit beteiligt. Die Arbeit an Gottes Aufgabe macht offensichtlich Geschlechtsunterschiede zweitrangig. Die Aufgabe lässt gesellschaftliche Konventionen, Rollenzuschreibungen und Aufgabenteilung zurücktreten. Was hier in einem Nebensatz geschrieben steht, ist auch für uns eine wichtige Feststellung. Alle werden gebraucht, wenn es um den Neuanfang geht. Auch die, die in unserer Gesellschaft als nicht wichtig gelten, auch die, die menschlich gesehen völlig ungeeignet für die Aufgaben hier aussehen, sie sind genauso wichtig und genauso gemeint, wenn Gott zum Bau der Gemeinde aufruft. Und auch Johannes, unser Down-Kind in der Gemeinde, er ist wichtig und wird gebraucht, um Menschen die Liebe unseres Herrn Jesus Christus ins Herz zu geben.
Ganze Handwerksgruppen werden beim Mauerbau eingesetzt. Handwerker, Kaufleute und Goldschmiede. Die Handwerker waren ja sicher besonders gern gesehen an der Mauer. Ich stelle mir vor, wie sie nach rechts und links Tipps und Tricks weitergaben. Damals waren Handwerker ja noch nicht so spezialisiert wie heute, sie werden gewusst haben, wie man Steine am besten aufschichtet. Aber wie sah das mit den Kaufleuten und Goldschmieden aus? Die Kaufleute mussten ihre Geschäfte schließen um mitbauen zu können. Sie mussten um ihre Kunden Sorge haben - würden sie wiederkommen, wenn das Geschäft wochenlang geschlossen war? Und was würde mit den Händlern, die Ware aus fernen Städten anliefern wollten, würden sie das mit dem Mauerbau verstehen? Die Goldschmiede waren in einer noch schwierigeren Lage. Sie verdienten ihr Geld mit den feinen Händen. Würden die Hände durch die groben Steine nicht verdorben werden? Und was dann? Die Kaufleute und Goldschmiede haben auch eine Botschaft an uns. Sie wollen uns heute sagen: Wenn Gott dich zu einer Aufgabe ruft, dann vertraue ihm, dass er auch für deine Zukunft sorgen wird. Im Vorhinein bekommen wir keine Versicherung für die Zukunft, einzig und allein die Zusage Jesus: Ich bin bei euch alle Tage. Den Leuten an der Mauer damals hat das genügt - und uns?
Auch die Priester ließen sich zum Bauen holen. Die Priester hatten 141 Jahre für ein neues Jerusalem gebetet und jetzt wurde es Wirklichkeit. Die Priester haben auch eine ganz wichtige Lektion für uns. Beten ist wichtig, es hält die Verbindung zu Gott und damit die Hoffnung wach. Das Gebet ist die Grundlage für den Neuanfang. Und wenn es dann soweit ist und aus der Hoffnung Wirklichkeit wird, dann gilt es zuzupacken und den Gebetsraum zu verlassen.
Zu welcher der 30 Gruppen gesellen wir uns? Wo will uns Jesus Christus haben, um seine Gemeinde zu bauen und im Jahr 2000 auch hier wieder neu zu beginnen? Sind wir vom harten Kern, haben das Handwerk gelernt und fangen sofort an mitzumachen? Oder sind wir eher vom Rand und ganz überrascht, dass Jesus auch uns meint, wenn er Gemeinde bauen will? Oder sind wir bisher hier wie die Töchter, Kaufleute, Goldschmiede gewesen, die eigentlich gar nicht fürs Bauen in Frage kamen? Oder brennen wir im Gebet für einen Neuanfang und sind bereit dann auch mitzutun, wenn wir erkennen, es ist soweit?
Nehemia ist Bote - auch für uns heute. Er erinnert uns, dass wir unsere Gemeinde nicht aus eigener Kraft bauen können. Er verwirklicht nur einen kleinen Teil des umfangreichen Bauplans Gottes. Denn 400 Jahre später wird die befestigte Stadt Jerusalem Jesus mit Hosianna empfangen. Eine Stadt in Trümmern wäre nicht der Ort gewesen, um den Retter der Welt zu empfangen. Und der Bauplan Gottes reicht noch weiter. Jesus soll auch heute nicht in Trümmerhaufen seine Gemeinde finden. Er möchte seine ganze Herrlichkeit in Gemeinden erweisen, die nach den Bauplänen Gottes in ihrer Gemeinde leben. So ist Jesus Christus der Dreh- und Angelpunkt, um den sich das Aufbauprogramm Nehemias und unser Bemühen um standhafte Mauern dreht. 
Noch etwas ist mir bei der Liste der Bauleute aufgefallen. Es wird berichtet, wie die Leute nebeneinander an ihren zugewiesenen Bauabschnitten arbeiteten. Sie wurden durch Gottes Geist zu einer Gemeinschaft, die ohne Neid, Konkurrenz und falschen Ehrgeiz ein gemeinsames Projekt voranbrachte. Normalerweise ist das ja anders. So schnell entsteht da ein Riss zwischen Menschen, der sich leicht zu einem Graben entwickelt - auch in der Gemeinde. Ein schlechter Gedanke, wohlbehütet, vielleicht gar nicht bewusst gedacht, führt zu Misstrauen. Ein unnötiges Wort hinter dem Rücken ist nicht mehr zurück zu holen und belastet schwer. Man meint, man könnte alles am besten und macht die Arbeit eines anderen nieder, ohne an Gottes Maßstäbe zu denken. Frau ist neidisch, weil es den andern scheinbar viel besser geht, sie glücklicher wirken und erfüllter. Man ist so beschäftigt mit den eigenen Problemen, dass man den andern gar nicht mehr sieht und sich schleichend entfremdet - auch von der Gemeinde. So vieles hindert das Nebeneinander, vergiftet die Gemeinschaft schleichend und verhindert den harmonischen Neuanfang. Vielleicht haben Sie das ja auch schon erlebt. In der Familie sollten wir das Nebeneinander ja fast geerbt haben und doch sind da Risse und Gräben. Im Beruf kann sich ein Nebeneinander von heute auf morgen in ein Gegeneinander verwandeln. Und in der Gemeinde als der neuen Familie um Jesus herum mit Gott als Vater ist es ganz genauso, Risse werden zu Gräben und zum Gegeneinader statt zum Nebeneinander.
Hier sind wir wirklich am Ende unserer Weisheit, um diese Gräben zu überbrücken. Die Bibel nennt diese Gräben Sünde. Und Sünde können wir wirklich nicht selbst aus dem Weg räumen. Sünde muss Jesus wegräumen und vergeben. Das erst macht das neue Nebeneinander und das Gelingen des Mauerbaus möglich. Jesus ist auch heute zur Stelle als der oberste Priester, der sich an unserem Mauerbau beteiligt. Deshalb ist Jesus auch das Zentrum unserer christlichen Verkündigung. Es geht immer um das eine: von Jesus in eine neue Gemeinschaft mit Gott und Menschen gestellt zu werden und seinen Auftrag zu erfüllen, den er uns gegeben hat. 
Die Liste der Bauleute stellt uns vor ganz konkrete Fragen:

  • Wie steht es mit dir?
  • Stehst du schon am richtigen Bauabschnitt
  • oder brauchst du noch einen Hinweis, eine Platzanweisung?
  • Stehst du "neben" deiner Frau/ deinem Mann, deiner Familie, deinen Kollegen, deinem Nachbarn in der Stuhlreihe?
  • Brauchst du Jesus, um die Gräben zuzuschütten und die Sünde, die dich von anderen trennt, zu vergeben?
  • Und hast du einen Menschen, mit dem du deine persönlichen Trümmer umbeten kannst, um sie wieder aufzubauen?
Die Liste der Bauleute an Gottes Reich ist nicht abgeschlossen, noch ist viel leerer Platz darauf. Aber wir werden erinnert, dass wir uns entscheiden können - für oder gegen diese Liste.
Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir uns im Gebet die nötige Kraft schenken lassen, mit Eifer und großer Freude unseren Platz auf der Baustelle einzunehmen.
Ich wünsche Ihnen und mir die Erfahrung, dass Jesus uns nebeneinander stellt und alles dazu tut, um unsere menschlichen Risse und Wunden zu heilen.
Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir wie die Bauleute damals heute sagen können: 
"Ja, ich bin dabei, wenn Du Bauleute suchst, Herr!"
Cornelia Trick
Teil 1  Teil 3


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