Christ sein - Jesus ist der Anfang
Gottesdienst am 26.06.2011

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
eine Informationsbroschüre zu verschiedenen Glaubenskursen wurde mir in die Hand gedrückt. Dort wurde geworben, dass nicht nur Anfänger etwas vom christlichen Glauben lernen wollten, sondern auch Fortgeschrittene gerne solche Kurse besuchten, um mehr über ihren Glauben zu lernen. So bin ich auf die Idee gekommen, in den nächsten Gottesdiensten solch einen Glaubenskurs anhand eines Briefes aus dem Neuen Testament durchzunehmen, der als ein solcher Kurs konzipiert wurde. Es soll der Vergewisserung unseres Glaubens dienen und uns neugierig auf mehr machen.

Stellen Sie sich ein Orchester mit allen möglichen Instrumenten vor, Streichern, Bläsern, dem Schlagwerk. Alle Instrumente sind wichtig, aber nur eines hat normalerweise die Führung, die erste Geige. Mancher würde sofort bestätigen, dass in seinem Leben Jesus Christus die erste Geige spielt. Er möchte, dass Jesus den Ton in seinem Leben angibt, ihm klar macht, welchen Weg er gehen soll. Doch ist es wirklich die erste Geige, die im Orchester die Führung hat?

Ist es nicht vielmehr der Dirigent, der das Orchester anleitet? Vielleicht ist dieser Jemand bereit, Jesus die erste Geige spielen zu lassen. Aber behält er als Dirigent selbst die Kontrolle über alles? Dann kann er doch sein eigenes Ding drehen und die erste Geige auf ihren Platz verweisen. Wer ist der Dirigent in unserer Gemeinde? Sind wir es, das Leitungsgremium, einzelne Gewählte, die Jesus in die erste Geige setzen und doch alles selbst unter Kontrolle haben wollen? Oder ist Jesus Christus der Dirigent, der uns zusammenhält und uns voranbringt, dass wir zu Gottes Ehre zusammen arbeiten und leben können?

Der Kolosserbrief ist an Christen geschrieben worden, die in ähnlicher Situation wie wir heute lebten.
In ihrer Umgebung gab es eine bunte Patchwork-Religiosität. Es gab griechischen und römischen Kult, Engelverehrung, Angst vor böswilligen Dämonen, die man sich durch Riten gefällig machen wollte.
Die soziale Verunsicherung war groß. Niemand war sicher, in der Mittelschicht zu bleiben. Die Angst vor dem sozialen Abstieg bestimmte die Beziehungen.

Die junge Gemeinde war für die Christen, die neu zum Glauben gekommen waren, ein Zufluchtsort. Sie lernten dort einen alternativen Lebensentwurf kennen, mussten sich aber viel Neues von einem völlig anderen Verständnis von Gottes Gegenwart lernen.

Der Brief, der wahrscheinlich von einem Paulus nahe stehenden Mitarbeiter in seinem Namen verfasst wurde, geht auf diese Situation ein. Er kann als Glaubenskurs für die junge Gemeinde gelesen werden und hat das Ziel, das ganze Orchester mit dem Dirigenten Jesus Christus zu beschreiben.

Kolosser 1,15+18-20

Jesus Christus ist das  Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei. Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.

Jesus ist Bild des unsichtbaren Gottes, Haupt der Gemeinde, Erstgeborener aus den Toten, Fülle und Versöhnung. Diese fünf Prädikate beschreiben Jesus. Um den Weg des Glaubens nachzuzeichnen, wird ihre Reihenfolge leicht verändert.

Jesus ist Bild des unsichtbaren Gottes

Von etwas Unsichtbarem kann man kein Bild machen. Was ist aber hier mit dem sichtbaren Bild Jesu von Gott, dem Unsichtbaren gemeint? Wohl zuallererst, dass das Bild ganz nahe am Original dran ist. Jesus ist praktisch die Kehrseite von Gott, und nur durch Jesus kann man sehen, wie Gott ist. In der modernen Medizintechnik, die man zur Zeit des Kolosserbriefes natürlich noch nicht kannte, denken wir gleich an Röntgenaufnahmen oder MRT-Bilder. Das Unsichtbare wird sichtbar gemacht, aber nur teilweise. Vieles bleibt für die Apparate dennoch unsichtbar. So zeigt Gott in Jesus nicht alles, was ihn ausmacht, er ist größer als wir uns das vorstellen können. Aber er zeigt das, was ihm am wichtigsten ist in seiner Beziehung zu uns Menschen. Er zeigt in Jesus seine Vollmacht, die menschliche Grenzen aufbrechen kann, Vollmacht zur Sündenvergebung, zur Heilung, über die Schöpfung. Er zeigt seine Liebe, mit der er uns Menschen auch in den verborgenen Winkeln aufsucht und seinen Willen, mit uns im Frieden zu leben, ohne trennende Gräben, Grenzen, Mauern und Zäune.

Jesus ist der Dirigent der Welt, an ihm führt kein Weg vorbei, im Gegenteil, alle Wege führen zu ihm hin. Wer den Stadtplan von Karlsruhe kennt, weiß, dass die Straßen der Innenstadt sternförmig auf das Schloss zulaufen. So kann man sich Jesus vorstellen, auf den alle Wege zuführen. Die Menschen sind unterschiedlich, die da unterwegs sind, die Glaubenswege sind verschieden, doch das Ziel ist für alle gleich, die Menschheit ist unterwegs zu Gott, der in Jesus alles in allem ist.

Jesus ist Versöhnung

Der Kolosserbrief war an Christen gerichtet, die den jüdischen Glauben nicht kannten und denen die jüdische Theologie nicht vertraut war. Sie konnten nichts anfangen mit dem Verständnis des stellvertretenden Opfertodes, hatten noch nie etwas vom großen Versöhnungstag der Juden gehört. So erklärte dieser Brief Jesu Versöhnungstat am Kreuz mit anderen, den Kolossern verständlichen Kategorien. Jesu Tod am Kreuz wurde mit Bildern aus der Politik und Diplomatie erklärt:

In einem Land herrscht Bürgerkrieg, zwei verfeindete Bürgerkriegsparteien stehen sich gegenüber. Die eine Partei will Frieden und neue Gemeinschaft, die andere Partei will Autonomie und eine Grenze im Land. Dabei übersieht sie, dass alle Rohstoffe auf der Seite der Friedenspartei liegen. Sie würde sich durch eine Abtrennung den Lebensnerv durchschneiden. Der Kampf scheint aussichtslos. Immer wieder bietet die eine Partei Frieden an, doch die andere schlägt den Frieden aus, sie will Unabhängigkeit. So schickt die Friedenspartei den Sohn ihres Anführers als Diplomaten mit neuem Friedensangebot zur Autonomiepartei. Der Diplomat hält das Schreiben in der Hand und befindet sich augenblicklich zwischen den Fronten. Die Autonomen sehen in ihm den Feind und bringen ihn um. Jetzt würde jeder mit einer Eskalation des Bürgerkrieges rechnen. Doch das Gegenteil geschieht. Die Friedenspartei verzichtet auf Vergeltung und lässt den Gegnern übermitteln: „Unser Kampf gegeneinander ist beendet. Wir vergelten eure Tat nicht. Von uns aus hat der Tod des Einen die Strafe für eure Gräuel getilgt. Wir vergeben euch und bieten euch an, in Frieden mit uns zu leben ohne Bedingungen. Ihr könnt euch unabhängig machen, aber ihr habt alle Rohstoffe nur, wenn ihr mit uns Frieden schließt. Von uns aus ist das jetzt möglich. Das sinnlose Morden soll aufhören. Wenn ihr euch auf den getöteten Diplomaten beruft, ist der Friede besiegelt.“ 

Diese politische Geschichte konnten die Leute in der Gemeinde Kolossäa verstehen. Sie übertrugen sie auf ihr Verhältnis zu Gott. Gott bot ihnen in Jesus Frieden an. Sie konnten sich auf ihn berufen und waren wieder mit Gott im Reinen. Sie mussten keine Angst mehr vor Dämonen oder bösen Engeln haben. Da Gott auch sie in den Frieden einschloss, waren Engelmächte keine Feinde mehr. Der Engelkult hatte sich erübrigt, niemand musste mehr durch Opfer gnädig gestimmt werden. Der Friede, den Jesus durch seinen Tod in die Welt brachte, galt, Gott und Mensch waren wieder vereint.
Dieses Kapitel des Glaubenskurses ist wichtig. Wer an Jesus glaubt, muss niemand mehr gnädig stimmen, keine Angst vor Mächten und Gewalten haben und sich nicht vor Gott fürchten. Gott hat Frieden geschlossen. Nehmen wir diesen Frieden an? Leben wir von dem, was Gott uns schenkt? Nehmen wir seine „Rohstoffe“ in Anspruch?

Jesus ist der Erstgeborene von den Toten

Doch Jesus blieb nicht tot. Die Erde hatte den Toten aufgenommen und gab ihn nun wie einen Erstgeborenen am Tag der Auferstehung zu Ostern wieder frei. Der Mutterschoß der Erde hatte ihren Erstgeborenen hervor gebracht. Es bestand begründete Hoffnung, dass er kein Einzelkind bleiben würde. Er würde Geschwister haben. Jesus war der erste, der auferstand, und alle, die an ihn glauben, werden auferstehen. 

Christen müssen den Tod nicht fürchten. Sie haben Mut, sich auch an ausgesetzte Stellen des Lebens vorzuwagen. Sie können ihr Leben einsetzen, weil sie wissen, mit dem Tod ist nichts vorbei, Gott wird mit ihnen weitermachen in einem neuen Leben bei ihm. So wundert es nicht, dass sich Christen immer wieder in gefährlichen Missionen befinden, um anderen das Friedensabkommen Gottes weiterzusagen.

In John Wesleys Tagebuch aus der Mitte des 18.Jahrhunderts lesen wir von seiner Überfahrt nach Amerika, er wollte dort als Missionar tätig sein. Sehr beeindruckte ihn eine Gruppe von Christen, die in schwerer Seenot miteinander völlig gelöst Lieder sang. Sie wussten, dass sie jeden Moment untergehen konnten. Aber ihre Hoffnung, mit dem Erstgeborenen von den Toten selbst in Gottes Welt zu kommen, war stärker als alle Angst. 

Sind wir nicht oft weit davon entfernt, so gewiss und sorglos durch unseren Alltag zu gehen? Schon kleinere Stürme können uns Angst einjagen. Jesus will uns helfen: Wir können ihm vertrauen, er nimmt uns mit, selbst wenn wir irgendwann aus diesem Leben scheiden werden. Seine Hand lässt uns auch dann nicht los. Er nimmt alle Geschwister mit in sein Reich.

Jesus ist das Haupt der Gemeinde

Die Gemeinde in Kolossäa soll wissen, nicht sie sind die Dirigenten, sondern Jesus ist Dirigent dieser Gemeinde und aller Gemeinden. Christsein gibt es nur in der Gemeinde von Schwestern und Brüdern. Jesus ist Haupt auch von Engeln, von Gewalten, von der Schöpfung, aber er hat nur einen Leib, das ist die Gemeinde.

Damit ist die Gemeinde ganz besonders qualifiziert. Sie ist Jesus so nahe wie sonst nichts. Sie lebt mit ihm zusammen, wird von ihm dirigiert, wird von ihm zum Wachsen angeregt. Ein Leib ist nämlich kein statisches Gebilde, sondern wächst, verändert sich ständig. Wachsen ist mit Schmerzen verbunden. Wir hätten es ja so gerne einfacher, ohne Reibungsverluste, ohne Schmerzen, ohne Meinungsverschiedenheiten und lange Diskussionen. Aber genau die schwierigen Wegabschnitte lassen zusammenwachsen, führen zu vertiefter Gemeinschaft und größerer Abhängigkeit zu Jesus. Gerade wenn wir nicht weiterwissen, erfahren wir Jesus hautnah in der Gemeinde. Wo Wachstum ist, ist auch Hoffnung. Niemand ist fertig, keine Gemeinde muss sich aufgeben, solange sie sich an Jesus hält. Es wird Veränderungen geben, Gebäude werden geschlossen, aber die Gemeinde Jesu bleibt bestehen auch in anderen äußerlichen Gegenbenheiten.

Jesus ist Fülle

Die Gemeinde lebt davon, dass sie von Jesu Fülle abbekommt. Ohne von Jesus gefüllt zu werden, ist sie leer, inhaltslos, beliebig. Erst Jesu Fülle gibt ihr ihren Charakter, schenkt ihr Anteil an Gottes Rohstoffen: Leben, Licht, Freude, Wärme. Sie kann diese Rohstoffe weiter zu Früchten wachsen lassen. Diese Früchte, Liebe, Freundlichkeit, Freude, Barmherzigkeit sind wie Werbezettel für Gottes Friedensangebot. Wer will nicht von diesen Rohstoffen leben.

Christen sollten der Theorie nach gefüllt sein, warum fühlen wir uns so oft leer oder nur halb voll? Warum sind Theorie und Praxis nicht deckungsgleich?

Drei mögliche Erklärungen:

Wir schätzen nicht wert, was wir geschenkt bekommen haben. Wir wollen immer mehr oder das ganz Besondere. Ein Vergleich dazu: Ich stehe vor meinem vollen Schrank und habe mal wieder nichts zum Anziehen. Sie würden sagen, dass ich doch jede Menge da in meinem Schrank habe, aber ich suche das Eine, was da gerade nicht drin ist, werde unzufrieden und stürze mich ins Einkaufszentrum. Verrückt, nicht? So geht es uns vielleicht auch mit unserer Fülle. Wir schätzen sie nicht wert, weil wir sie noch gar nicht richtig entdeckt haben. Es lohnt sich, innezuhalten und auf Entdeckungsreise zu gehen. Was hat Jesus mir für eine Fülle geschenkt? Und brauche ich wirklich noch mehr?

Die Fülle Jesu lebt vom Weiterfließen. Das Tote Meer, so las ich, ist versalzen, weil es keinen Abfluss hat. Das Wasser staut sich, verdunstet, und das Salz bleibt zurück, es ist totes Wasser. Eine Studie, die in Gemeinden durchgeführt wurde, brachte zutage, dass viele langjährige Christen Schwierigkeiten mit ihrem geistlichen Leben haben und Gottes Gegenwart kaum noch erleben. Gefragt, wo die Ursache dafür liegt, kam heraus, dass sie ihren Glauben nie eingesetzt haben, um anderen davon etwas weiterzugeben. Sie haben immer darauf gewartet, noch mehr für sich selbst zu bekommen.

Die Öffnung ist zu klein, um die Fülle Jesu aufzunehmen. Sie kennen das ja sicher, man hat eine Blumenvase mit kleiner Öffnung und will Wasser einfüllen. Der Strahl ist viel zu groß und zu stark, es dauert ewig, bis die Vase voll ist. Eine kleine Öffnung für den Glauben können unsere eigenen Glaubenssätze sein. Wir wissen genau, wie Jesus an uns und anderen wirken kann, wir sind nicht bereit, unseren eigenen Blick weiten zu lassen. Wir sind selbst die Dirigenten und trauen Jesus nur die 1. Geige zu, unsere eigenen Vorstellungen bestimmen unseren Glauben. Vielleicht zeigt Jesus uns, dass er viel größer ist, dass seine Fülle reicher fließen kann und macht uns bereit, uns für die ganze Fülle zu öffnen.

Der Christushymnus des Kolosserbriefes zeigt uns, Jesus ist die Hauptsache, er trägt alles, ist Mittler der Schöpfung, Haupt der Gemeinde, Erstling der Toten und Fülle und Versöhnung.

Unser Glaubenskurs nimmt von ihm aus den Anfang. Nur wenn wir ihn kennen und ihm vertrauen, heißen wir zu Recht Christen.

Cornelia Trick


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