Den Glauben in Beziehungen leben (Römer 15,7)
Gottesdienst am 28.10.2012

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
die Grünlilie ist eine sehr widerstandsfähige Pflanze, ich konnte das während meines Studiums testen. Sie brauchte keine Gesellschaft, wenig Wasser, nie Dünger, begnügte sich mit einem kleinen Topf und brachte doch immer wieder Babys hervor. 
Manchmal wären wir vielleicht gerne Grünlilien. Wir bräuchten niemand als Gesellschaft, würden fruchtbar ohne Input von außen sein, könnten uns ganz so entwickeln, wie wir es wollten.

Doch wir sind keine Grünlilien. Im Gegenteil sind wir von Gott in herausragender Weise als Beziehungswesen geschaffen. Gott sagte über Adam, dem ersten geschaffenen Menschen: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe schaffen als Gegenüber (d.h. die zu ihm passt).“ (1 Mose 2,18)

Wir sind auf das Du hin angelegt, biologisch, seelisch, verstandesmäßig. Wir brauchen Ergänzung, Austausch, Ermutigung und Liebe. Wir bräuchten keine Sprache, wären wir Grünlilien.

Im Idealzustand reichen wir uns alle die Hände und bilden einen großen Kreis, eine Hand gibt der anderen weiter, arbeitet der anderen zu, umarmt und unterstützt. Real sehen die Zustände oft anders aus. Wie in einem gordischen Knoten haben wir uns ineinander verstrickt. Niemand weiß, wie wir unsere Verknotungen lösen können, ohne uns zu trennen. Einzelne stehen außerhalb des Kreises, sie verweigern den Handschlag, sei es aus Vorsicht oder aus Überzeugung.

Die Aktion „Glaube am Montag“ will uns deutlich machen, dass unser Glaube Bedeutung für unseren Alltag hat. Das heutige Thema beleuchtet unsere Beziehungsprobleme. Wie nötig, dass in sie Gottes Licht kommt und wir neu lernen, unsere Beziehungen von Gott her wachsen und heilen zu lassen.

In der biblischen Lesung, Römer 15,2-6, hören wir, wie Paulus in eine konkrete Gemeindesituation hineinspricht. Offenbar gab es in Rom auch gordische Knoten und Verweigerungen des Handschlags. Deshalb beginnt er mit dem Grundsätzlichen, wie wir Hilfe und Motivation zum Lösen von Konflikten bekommen können. Vorbild ist Jesus Christus, der kein Gesetz ist, uns nicht zwingt, sondern der uns bewegen und anregen will. Jesus hatte nicht auf sich selbst geachtet, wie er gut durchs Leben kam und Anerkennung bekam. Jesus hat für Beziehungen gelebt. Er hat sich Menschen mit Todesdiagnose angenommen, die an ihrem „Sein-wollen-wie-Gott“ tödlich erkrankt sind. Jesus hat ihre Krankheiten auf seinen Namen umschreiben lassen, ihren Tod auf sich genommen, damit sie leben können. Jedem und jeder, die er damals sah und der er heute begegnet, macht er dieses Angebot. Merkwürdigerweise wollten und wollen einige ihre tödliche Krankheit behalten.

Die Haltung Jesu ist Vorbild für uns. Wir können durch sein Sorgen für uns auf das Du schauen, das Du wahrnehmen. Es geht nicht mehr nur darum, ob Gutes mir nützt, sondern auch, ob es dem anderen hilft und ihn aufbaut und größer werden lässt. Nötig ist dazu Gottes Geist, der uns die Kraft dazu schenkt. Paulus ist sich bewusst, dass wir dazu Geduld und Trost brauchen. Geduld, weil wir Gottes Liebe immer nur unvollkommen leben und weitergeben können. So selten gelingt es uns wirklich, gordische Knoten aufzulösen, ohne sie zu zerschneiden. Trost brauchen wir, um nicht an unserer Unvollkommenheit zu verzweifeln. Vollbringen schenkt der Herr, das wissen wir, seit er auferstanden ist.

So münden die Grundlagen in die Aufforderung:

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. (Römer 15,7)

Es ist nicht selbstverständlich, dass wir aus eigener Erfahrung heraus auf andere zugehen. Wir brauchen die Erinnerung, dass Glaube nicht bei uns stehenbleibt, sondern sich in Beziehungen auswirkt.

Wie hilft der Glaube, den anderen anzunehmen und ihm meine Annahme zu zeigen? Und natürlich geht der Blick auf den anderen über den Gemeinde-Tellerrand hinaus. Evangelisation beginnt meistens mit Annahme, wie auch Jesus die Menschen, die er in seine Nachfolge gerufen hat, zuerst angesehen und angenommen hatte.

Ein paar Straßenschilder können uns vielleicht helfen, wenn wir unsere gordischen Knoten und Grünlilien-Beziehungen angehen. Sie dienen ja auch im Straßenverkehr zur Orientierung und zum guten Miteinander.

Stoppschild
Es wirkt ungewohnt, dass ein Stopp am Beginn des Nachdenkens über Beziehungen steht. Sind wir doch eher gewohnt, erstmal loszulegen und erst bei Konflikten innezuhalten. Doch dieses Stoppschild will Grundsätzliches klären etwa wie das Stopp am Armaturenbrett, das uns erinnert, die Handbremse zu lösen und den Gurt anzulegen. Was ist also so entscheidend, dass wir zuerst darauf achten müssen?

„Wenn jemand sich einbildet, Gott zu ehren, aber seine Zunge nicht im Zaum halten kann, ist seine Gottesverehrung wertlos, und er betrügt sich selbst.“ (Jakobus 1,26)

Bevor wir uns darüber Gedanken machen, wie wir jemand annehmen können, ist es nötig, ihm zuzuhören. Zuhören öffnet uns für das Du. Wer bist du? Wo brauchst du meine Annahme? Welche gordischen Knoten behindern dein Leben und wo leidest du unter deiner Einsamkeit oder der Ablehnung durch andere? Wir können keine Beziehungen leben, wenn wir uns unsere Positionen einfach um die Ohren hauen. Es gehört dazu, dass wir aufeinander eingehen und uns wirklich vom anderen berühren lassen. Wie kann das gehen, wenn ich nicht zuhöre? Das Bibelwort wird von uns leicht mit übler Nachrede in Verbindung gebracht. Aber schon das Nicht-Hören des anderen ist nicht in Gottes Sinne. Hört er doch zu jedem Augenblick auf das, was wir ihm sagen.

Sehenswürdigkeit
An Autobahnen finden wir viele braune Schilder, die uns nicht die Richtung zeigen, sondern auf besondere Orte am Rande der Straße aufmerksam machen. Ihr tiefster Sinn ist wohl, uns zum Verweilen an diesen Stätten zu bewegen.

„Die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ (Nehemia 8,10)

Die Freude über die Gemeinschaft mit unserem Herrn äußert sich auch im Miteinander. Doch wie oft gestalten wir unsere Beziehungen als reine Arbeitsbeziehungen. Dass wir mal innehalten und den Augenblick feiern, wie oft kommt das vor? Dass wir eine Sitzung verkürzen, um miteinander zu essen, dass wir beim Blätterfegen im Garten nicht nur mit dem Nachbarn über diese vielen Blätter schimpfen, sondern ihn nach getaner Arbeit zu einer Tasse heißen Kakao einladen, dass wir mit der Verkäuferin nicht nur nett an der Kasse reden, sondern ihr ein Brötchen für die Pause kaufen – wann geschieht das? Immer wieder weißt uns auch Paulus auf die Freude hin, die wir in der Gemeinschaft mit Jesus Christus erfahren. Sie ist zum Teilen da, zum Picknicken am Rande des Tagesprogramms. Auf der Picknickdecke können sich Beziehungen entfalten, können leicht Knoten gelöst werden. Es ist wohl unsere Herausforderung, uns Zeit und Phantasie dafür schenken zu lassen.

Achtung Baustelle
Natürlich denke ich bei unserem Thema „Glauben in Beziehungen leben“ gleich an Konflikte. Solange alle harmonisch miteinander sind, fällt mangelnder Glaube gar nicht auf. Doch sobald sich erste Schwierigkeiten zeigen, wird unser Glaube herausgefordert.

„Ich ermahne Evodia und ich ermahne Synthyche, dass sie sich als Schwestern im Glauben vertragen.“ (Philipper 4,2)

Welche Auseinandersetzung die beiden Frauen wohl hatten? Jedenfalls war ihr Zerwürfnis so schwerwiegend, dass Paulus sie namentlich erwähnte. Wie peinlich mag das für die beiden Frauen gewesen sein. Sie sind offensichtlich nicht miteinander zurechtgekommen. Und statt über den Rohrbruch der Beziehung einfach eine neue Asphaltdecke zu legen und zu hoffen, dass sich das Loch von selbst schließt, ermutigt Paulus die beiden, ihren Konflikt auszutragen und den Knoten zu lösen. „Im Glauben vertragen“ meint hier wohl, dass sie sich neue Liebe für einander schenken lassen. So werden sie fähig, einander stehen zu lassen, die Stärken der anderen wertzuschätzen und die Schwächen zu tragen. Sie sind nicht länger durch Neidgefühle aneinander gebunden, sondern sehen in der anderen eine von Jesus herausgeliebte Schwester, die wie sie auf dem Weg des Glaubens ist. Vielleicht täte uns in manchen Konflikten so ein mächtiges Pauluswort gut, das uns nicht die Wahl lässt, den Streit unterzubuttern oder sich ihm zu stellen. Doch Glauben leben heißt eben, sich zu stellen, die Kraft Jesu zur Versöhnung in Anspruch zu nehmen und geplatzte Rohre wieder zu flicken. Das kann dauern, aber hilft, die Liebe Gottes in dieser Welt wieder fließen zu lassen.

Straßensperrung
Der reiche junge Mann (Markus 10,17-27) wandte sich Jesus zu, doch die Botschaft war ihm zu hart. Sie passte nicht zu seinem Lebenskonzept, so ging er traurig davon. Jesus ließ ihn ziehen. Er eilte ihm nicht hinterher, er bedrängte ihn nicht. Er, so könnte man vermuten, wartete geduldig, ob der junge Mann vielleicht irgendwann wiederkam. Ich erinnere mich an die Beziehung zu einer Mutter, die wie ich kleine Kinder hatte. Ich wollte ihr so gerne den Glauben an Jesus Christus nahe bringen. Doch sie war irgendwie immun dagegen. Immer wieder sprach ich sie darauf an, doch es tat sich nichts. Irgendwann brach sie den Kontakt ab. Hätte ich ihre Signale wahrnehmen müssen? Respektieren müssen, dass sie gerade keinen Zugang zum Glauben hatte? Hätte ich ihr mehr Freiraum in unserer Beziehung geben können, dass sie die Chance gehabt hätte, mit mir befreundet zu bleiben, auch wenn sie nicht an Jesus Christus glaubte? Ja, im Nachhinein sehe ich das sehr deutlich. Ich hätte ihr Schild „Straßensperrung“ ernst nehmen sollen. Es ist ein wirklich schwieriges Einfühlen, wenn jemand dicht macht und nicht mehr an sich herankommen lassen will. Jesus hat das ausgehalten, beim jungen Mann, bei seinen Kritikern. Er hat seine Botschaft ihnen nicht aufgezwungen. Er wartete, bis sie auf ihn zukamen. Wir brauchen Jesu Hilfe, um diese Geduld aufzubringen.

Arbeiten am Seitenstreifen
Buchstäblich am Seitenstreifen von Jesu Weg hockte der Zöllner Zachäus auf einem Baum (Lukas 19,1-10). Wäre Jesus nur auf ein schnelles Vorwärtskommen fixiert gewesen, hätte er Zachäus nicht wahrgenommen. Doch er entdeckte ihn in der Baumkrone und baute eine Beziehung zu ihm auf, die Zachäus Leben völlig umkrempelte. Jesus will nicht, dass wir Raser auf der Autobahn sind. Er vergibt keinen Preis für den oder die, die am schnellsten von München nach Hamburg fährt. Er schätzt unsere Zwischenstopps auf Picknickdecken und eben bei denen, die am Seitenstreifen sind. Oftmals wird unser eigentliches Ziel dann zweitrangig. Ein Arztbesuch mit langem Sitzen im Wartezimmer kann zu einer Gelegenheit Gottes werden, einem anderen Mut zuzusprechen. Ein Einkauf kann mich auf die Person stoßen, mit der ich dringend mal reden sollte. Ein Anruf im Büro kann schnell zu Seelsorge werden, wo wir einander versichern, dass der Herr mit uns unterwegs ist. Viele Gelegenheiten wird die nächste Woche bieten, wo wir von Gottes Geist zu den Arbeiten am Seitenstreifen gerufen werden.

Die Bibel gibt uns viele Anregungen, Glauben in Beziehungen zu leben. Ein paar Straßenschilder werden wir in der neuen Woche sicher auch auf unseren Wegen finden. Beziehungen zu gestalten und einander anzunehmen trägt zum Lobpreis Gottes bei. Ihn ehren und preisen wir, wenn wir Jesu Vorbild folgen.

Cornelia Trick


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