Gottesdienst am 09.01.2005
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
das neue Jahr liegt noch vor uns. Jemand hat
uns einen Einkaufsgutschein überreicht. Darauf steht: Für das,
was Du im neuen Jahr am nötigsten brauchst. Wir brechen auf ins nächste
Einkaufsparadies. Viel wird angeboten, die Preise sind reduziert, die Waren
springen uns fast an. Aber brauchen wir mehr Pullover, Handtaschen, Kochtöpfe
oder Multimediaprodukte wirklich? Macht uns die neue Webcam dann für
ein ganzes Jahr glücklich? Sagen wir am 31.12.2005: "Ja, es war ein
wahrhaft gutes Jahr, weil ich eine neue Webcam hatte?"
Sie ahnen es längst, ich bin überzeugt,
dass das Einkaufszentrum uns keinen einzigen Artikel präsentieren
kann, mit dem das neue Jahr wirklich entscheidend besser verlaufen wird.
Ganz anders sieht es aus, diesen Gutschein bei Gott einzulösen. Denn
wen wir in diesem Jahr ganz sicher am nötigsten brauchen, ist Gott.
In den weltweiten Katastrophen kann unsere Hilfe nur Pflaster auf die Wunden
sein. Gottes Liebe heilt. In den Herausforderungen der wirtschaftlichen
Entwicklung scheinen wir die "Macher" zu sein, aber Gott allein hat das
Beste für uns Menschen im Blick, wir laufen den eigenen Interessen
hinterher. In den Sorgen des eigenen Lebens kommen wir an Grenzen, die
nicht zu überwinden sind. Gott entgrenzt unsere Wege und unsere Perspektiven.
In der Trostlosigkeit gibt Gott Trost, der über den Tod hinaus reicht.
Und als Gemeinde sind wir sowieso elementar auf Gott angewiesen, verkommen
wir ohne ihn doch zu einem Selbstbeschäftigungsverein.
Von diesem Bedürfnis nach Gott und seiner
Gegenwart im neuen Jahr ausgehend beginne ich heute eine Predigtreihe zum
ersten Brief des Johannes. Mit diesem Brief haben wir ein sehr altes Dokument
der ersten Generation Christen in der Hand. Er ist um 55 nach Christus
geschrieben worden, etwa zeitgleich mit dem 1. Korintherbrief, so die neusten
Forschungsergebnisse. Mit ihm haben wir einen innigen Werbebrief für
ein Christsein in den Händen, das sich als echt und glaubwürdig
erweist. Die Gemeinde wird erinnert an ihren ureigensten Auftrag, Licht
in der Welt voller Dunkelheit zu sein und auf Gott, das Licht hinzuweisen.
Damit zeichnet sich der Brief auch durch seine Geradlinigkeit aus. In den
Gründerjahren der Christenheit war es wichtig, eindeutig Position
zu beziehen. Man war in der Minderheit, ein verstreutes Häuflein,
kaum allein lebensfähig. Was interessierte damals der interreligiöse
Dialog, die Abgrenzung von anderen Positionen hingegen war in aller Schärfe
nötig, um das Einzigartige des Glaubens an Jesus Christus zu betonen.
Für uns heute mag manche radikale Aussage befremdlich klingen, wir
vermissen die Zwischentöne zwischen schwarz und weiß, die unser
Leben so oft charakterisieren. Doch der Blick zurück in die Anfänge
der christlichen Gemeinde weckt uns auf und weist unseren Blick neu auf
Gottes Licht, das uns Orientierung und neuen Schwung mitten in den Grautönen
des Lebens geben will.
1.Johannes 1,1-5
Was von allem Anfang an da war, was wir gehört
haben, was wir mit eigenen Augen gesehen haben, was wir angeschaut haben
und betastet haben mit unseren Händen, nämlich das Wort, das
Leben bringt - davon schreiben wir euch. Das Leben ist offenbar geworden
und wir haben es gesehen; wir sind Zeugen dafür und berichten euch
von dem unvergänglichen Leben, das beim Vater war und sich uns offenbart
hat. Was wir so gesehen und gehört haben, das verkünden wir euch,
damit ihr in Gemeinschaft mit uns verbunden seid. Und die Gemeinschaft,
die uns miteinander verbindet, ist zugleich Gemeinschaft mit dem Vater
und mit Jesus Christus, seinem Sohn. Das erfüllt uns mit großer
Freude. Und wir schreiben euch diesen Brief, damit unsere Freude vollkommen
wird.
Von ihm, dem offenbar gewordenen Wort, haben wir
die Botschaft gehört, die wir euch weitersagen: Gott ist Licht, in
ihm gibt es keine Spur von Finsternis.
In unserer Kirche hängt seit dem 4. Advent
eine Lichterkette an der Altarwand. Ursprünglich symbolisierte sie
den Sternhimmel über Bethlehem. Als wir die Kette aufhingen, merkten
wir enttäuscht, dass zwei komplette Reihen Glühbirnen ausfielen. Durch
die Lagerung über das Jahr oder den Transport von einer Kiste in die
andere musste der Defekt ausgelöst worden sein. Wer jemals versucht
hat, einen solchen Schaden zu beheben, weiß, was uns erwartete. 16
Glühbirnchen mit Zange und Feingefühl aus der Verankerung lösen
und darauf hoffen, dass bei dieser Aktion nicht noch mehr kaputt ging.
Dabei nach den zwei Glühbirnen fahnden, die die restlichen 14 Birnen
dunkel bleiben ließen, weil sie den Strom nicht weitergaben. Ganz
zu schweigen von der Schwierigkeit, die passenden Ersatzlämpchen aufzutreiben.
Einer vom Fach war dabei und nahm uns die Entscheidung ab, wir ließen
die Reihen, wie sie waren, einige Glühbirnen sind dunkel.
Ist das nicht auch so mit dem Glauben? Wenn er
nicht weitergegeben wird, ist die Leitung unterbrochen. Nicht nur ein Mensch
bleibt dunkel, auch die drum herum sind mitunter betroffen. Johannes ermutigt
die Gemeinde, sich mit diesem Zustand nicht abzufinden. Deshalb bezeugt
er am Anfang seines Schreibens den eigenen Glauben an Jesus Christus. Jesus,
so sagt er, ist von Anfang an mit Gott dem Licht gegenwärtig. Er tritt
nicht erst mit der Geburt ins Leben, er war schon, bevor Gott die Welt
erschaffen hatte. Dieses Geheimnis bezeugt der Apostel zusammen mit anderen,
die in dem "wir" eingeschlossen sind. "Wir" sahen, hörten, berührten
und verkündeten Jesus, das Wort Gottes, das Mensch geworden ist.
Wir sahen: Jesu Niedrigkeit, dass kein äußerer
Hinweis auf Jesus, den Herrscher der Welt verwies. Dass Menschen von seiner
Vollmacht verändert wurden, umkehrten von falschen Lebenswegen ohne
Gott, Vertrauen lernten, Heilung erfuhren. Ja, dass sogar die Natur Jesus
gehorchte in Stürmen, in der Brotvermehrung, im Weinwunder zu Kana.
Wir hörten: Jesu Verkündigung in Beispielen
aus dem Alltag, in Predigten, in Auseinandersetzungen mit Gegnern. Wir
hörten Vergebung von Schuld, Segen, Gottes Willen in Zuspruch und
Anspruch auf das ganze Leben.
Wir berührten: den Gekreuzigten, der nicht
im Tod geblieben ist, sondern auferweckt wurde, der als Gottes Sohn Mensch
wurde und an der Trostlosigkeit und Finsternis der Welt bis in den Tod
teilnahm, der Schmerzen durchlitt und nicht vor ihnen weglief. Wir berührten
einen Mann aus Fleisch und Blut, der sich aus Liebe für uns hingab.
Wir verkünden: Jesus, der nicht nur für
die persönliche Rettung eines jeden nötig ist, sondern der die
Gemeinde beauftragt, als Gerettete Rettersinn zu entwickeln und Lichterketten
zum Leuchten zu bringen. Eine Person kann viele in das Licht Gottes führen.
Das Ziel umreißt Johannes so: In der Gemeinschaft
mit Gott, dem Licht, werden wir Gemeinschaft auch untereinander erfahren
und das wird uns froh werden lassen. Gefährdet wird das Ziel schon
von einem Christen, der das Licht nicht mehr aufnimmt und weitergibt. Die
Kette des Lichtes Gottes ist unterbrochen und andere bleiben ebenfalls
in der Finsternis.
Soweit die grundlegenden Worte des Apostels an
die Gemeinde damals.
Sind es auch Worte an uns heute? Ich meine,
dass wir uns wiederfinden können. Auch unser Glaube steht in der Gemeinschaft
des Lichtes Gottes, auch unser Glaube gründet sich auf das Sehen,
Hören und Berühren Jesu. Auch unser Glaube drängt zum Verkünden.
Wir sehen – Glaube baut
auf Glaubensgeschichte auf
Das Licht kann in einer Lichterkette nur weitergegeben
werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, die Glühbirne
Kontakt hat zur Kette, ein Glühfaden intakt ist, kein Rost die Kontakte
stört. Persönlicher Glaube entsteht meistens nicht in einem luftleeren
Raum. Sicher gibt es diese Erfahrungen, etwa eine Muslimin wird von Jesus
in einer Vision direkt angesprochen und kommt zum Glauben, sehr viel später
erst bekommt sie eine Bibel und kann diesen Jesus besser kennen lernen.
Aber diese Berichte sind die Ausnahme. Meistens gehen der persönlichen
Glaubensentscheidung Zeiten voraus, in denen man etwas von Gott, von Jesus
erfahren hat, ohne sich gleich entscheiden zu müssen. Man hört
von Gott, der sich wie ein barmherziger Vater erbarmt, man bekommt Geschichten
erzählt über Gottes Schöpfung, sein Volk Israel und Jesus.
Aus diesem Wissen heraus muss keine Glaubensentscheidung werden, aber es
ist Grundlage, die Jesus nahe bringt und Wissen transportiert. Wer dieses
Wissen nicht hat, wird den Unterschied zwischen Jesus und anderen Heilsbringern
nicht erkennen können. Deshalb ermutigt uns der Apostel mit seiner
Erinnerung an das Sehen, uns diese Glaubensgeschichten anzueignen, wenn
wir sie noch nicht kennen. Er fordert uns auf, in der Bibel zu lesen -
nicht nur mit dem Ziel der persönlichen Erbauung, sondern wie ein
Vokallernen für die Fremdsprache.
Wir hören – Glaube
muss verstehen
Im Mittelalter wurde Glaube verstanden als ein Für-Wahr-Halten
von Glaubenssätzen, die nicht zu hinterfragen waren. Zu ihnen gehörte
die
Aussage von der Erde als Scheibe. Wissenschaftler, die diesen Glaubenssatz
ablehnten, wurden als Ketzer verfolgt. Die reformatorische Wende bedeutete
einen Umbruch des Glaubensverständnisses. Nicht Glaubenssätze
mussten abgenickt werden, sondern es ging um eine persönliche Beziehung
zu Jesus Christus, ihm zu vertrauen in Leben und Tod war fortan für
evangelische Christen Glauben. 500 Jahre sind seit Luthers Erkenntnis vergangen,
doch immer noch ist es ein aktuelles Thema. Hat sich biblische Wahrheit
mit unserem Leben so verbunden, dass wir ihr vertrauen, dass Jesus unser
Freund ist und nichts uns von ihm trennen kann? Sind die biblischen Aussagen
mit unserem Leben verschmolzen, dass wir sie von Herzen und mit unserem
Verstand erfassen? Oder sind sie Sätze, die wir wie Formeln auf den
Lippen haben, im Ernstfall aber glauben wir selbst nicht dran?
Ein Professor des Neuen Testaments, der ein Buch
zum Römerbrief schrieb, wurde in einem Vortrag über sein bewegendes
Buch von einer Zuhörerin gefragt, wie er sich das Thema angeeignet
habe. Er erzählte, dass er sich einige Wochen ganz von Menschen zurück
gezogen hatte und versuchte, in das Leben des Paulus hineinzuschlüpfen.
Die Auseinandersetzungen erlebte er persönlich nach, das Ringen des
Paulus um seine jüdischen Geschwister wurde zu seinem eigenen Ringen.
Es wurde, so resümierte er, eine sehr bewegende Zeit für ihn.
Mich hat dieser Umgang mit Jesus Christus tief
beeindruckt. Ein Wissenschaftler experimentiert nicht mit seinem Stoff,
klopft ihn auf seine Eigenschaften ab und prüft seine Verwendbarkeit,
sondern begibt sich selbst in das Experiment, lässt Jesus an ihm wirken
und erlebt, dass sich der Geist Jesu, der Paulus begabt hatte, auch ihm
mitteilt. Es ist für mich zu einer Hilfestellung geworden, Glaube
zu verstehen. Ich setze mich mit der Bibel Jesu zu Füßen und
lasse ihn mit mir reden. Er öffnet mir das Herz für seine Wahrheit,
für sein Licht und schenkt mir Vertrauen in ihn.
Wir berühren – Glaube
braucht Nahrung
Manche werden jetzt sagen: "Schön und gut,
das weiß und beherzige ich aber schon längst. Hat Johannes nicht
noch etwas Neues zu sagen?" Ja, hat er. Er fordert uns auf, die Nahrung
des Glaubens immer neu aufzunehmen, auch 2005. Ich bin sicher, wir könnten
im Stehgreif über den Glauben diskutieren, Argumente dafür und
dagegen finden und auch Tipps weitergeben, wie Glaube gelernt werden kann.
Aber irgendwann sind wir leergeredet, ausgepumpt, am Ende unserer Argumente.
Wir merken, dass wir eigentlich noch nicht genug wissen, um unserem Gesprächspartner
weiterzuhelfen. Wir sind traurig, dass wir leere Worthülsen weitergeben,
die wir selbst gar nicht mit Inhalt füllen. Etwa Sätze wie "Lies
die Bibel" lassen sich wunderbar leicht sagen. Aber wenn mein Gegenüber
fragen würde: Was hast du denn gestern in der Bibel gelesen, das dir
besonders wichtig geworden ist? Könnte eine peinliche Frage werden.
Um ihr zuvor zu kommen, lädt der Apostel uns ein, Jesus zu berühren,
ihm nachzuspüren, der nicht das Jesuskind in der Krippe geblieben
ist, sondern gekreuzigt wurde und auferstanden ist. Unser Glaube bekommt
Nahrung nicht nur durch die Bibel, sondern auch durch das Gespräch
der Gemeinde. Stellen wir unsere persönlichen Fragen doch im Angesicht
Jesu. Lassen wir sie Thema im Hauskreis werden mit der Aufgabe, dass jede
und jeder die Hausaufgabe mitnimmt, Antworten Jesu zu dem Problemkreis
zu finden. Dann argumentieren wir nicht länger über Jesus, sondern
mit Jesus, das Licht wird weitergegeben, Freude kann vollkommen werden.
Wir verkünden – Glaube
drängt zum Weitergeben
Zwei Richtungen sind dabei wichtig. Wir geben den
Glauben horizontal in unsere Mitwelt weiter, zu Freunden, Nachbarn, Arbeitskollegen,
Schulkameraden, bei Evangelisationen und mit Krabbelgruppen. Wir geben
unseren Glauben aber auch vertikal weiter von einer Generation zur nächsten.
Gerade an diesem Punkt erfahren wir heute den größten Traditionsabbruch
seit der Christianisierung des Abendlandes. Dass Kinder von ihren Eltern
den Glauben lernen, ist das Privileg von einigen Auserwählten geworden.
Als ich vor Weihnachten in einer Grundschulklasse Vertretung machte und
die Aufgabe hatte, die Weihnachtsgeschichte durchzunehmen, waren es allein
die paar Kinder, deren Eltern regelmäßig zur Kirche gingen,
die die Weihnachtsgeschichte erzählen konnten, alle anderen waren
höchst verwirrt, dass in der Weihnachtsgeschichte selbst kein Weihnachtsbaum
und kein Weihnachtsmann vorkamen. Wir haben hier eine Verantwortung, die
in ihrer Bedeutung immer sichtbarer wird. Anknüpfend an das Sehen
des Glaubens sind wir gefragt, hier Glauben weiter zu tragen.
Arbeit mit Kindern ist Kerngeschäft in Neuenhain.
Die Kinder hier haben ausreichend zu essen. Es gibt keine Straßenkinder.
Hausaufgabenhilfe wird über die Schule organisiert. Sicher, es gibt
Not in den Familien. Aber unsere Versuche, hier aktiv zu werden, fanden
keinen fruchtbaren Boden. Dagegen haben wir vier Kindergruppen mit Kindern,
die gerne kommen und sehen wollen. Ihnen von Jesus zu erzählen legt
die Grundlagen des Glaubens und Vertrauens. Hier geschieht Verkündigung
in vorderster Linie. Hier sind ganze Bereiche der Lichterkette, die dunkel
bleiben könnten, wenn einzelne sich aus dieser Arbeit ausklinken würden.
Wir als Gemeinde haben Verantwortung. Nicht alle sind zu diesem Dienst
begabt. Aber zur Fürbitte, zur Ermutigung, zum Mithelfen in vielerlei
Hinsicht ist genug Möglichkeit. Sprechen Sie mit den Männern
und Frauen, die vertikal verkünden, Woche für Woche und Sonntag
für Sonntag. Sie brauchen Ihre Unterstützung, das Licht Gottes,
das ihnen Kraft gibt zum Leuchten.
Finsternis schleicht sich nur da ein, wo das
Licht nicht hinkommt oder zu schwach ist. Ein erster Schritt ins neue Jahr
kann für uns bedeuten, Glauben neu zu sehen, zu hören und zu
berühren. Dadurch werden wir in der Gemeinschaft Gottes und untereinander
neue Freude erfahren und leuchten können - ohne Unterbrechung.
Gott ist Licht, in ihm gibt es keine Spur von
Finsternis. (1.Johannes 1,5)
Cornelia
Trick
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