Vergib uns unsere Schuld (Matthäus 6,12)
Gottesdienst am 15.10.2017 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
beim Erntedankfest haben wir uns mit der Bitte um das tägliche Brot beschäftigt. Lebensnotwendiges schenkt uns Gott. Wir bekommen alles, was wir zum Leben brauchen, können dafür dankbar sein, unsere Gaben teilen und weitergeben. Würden wir das Brot und alles, was wir sonst zum Leben brauchen, für uns behalten, wäre die Segenskette unterbrochen. Halten wir das Brot nur für uns fest, werden wir schuldig gegenüber Gott und Mitmenschen.

So schließt folgerichtig die nächste Bitte des Vaterunsers an:

Matthäus 6,12
Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

Im Zusammenhang lautet diese Bitte: „Vergib uns, dass wir das geschenkte Brot nicht geteilt haben.“ Obwohl wir wissen, dass Gott uns immer versorgt und genug zum Leben gibt, misstrauen wir ihm und sitzen auf seinen Gütern, statt sie weiterzugeben.

Als Christen beten wir diesen Satz innerhalb des Vaterunsers, obwohl wir sicher sind, dass Jesus unsere Schuld am Kreuz ein für allemal vergeben hat. Wenn wir aufs Kreuz schauen, wissen wir uns gerettet und befähigt, ein neues Leben ohne Altlasten zu führen. Warum also bitten wir immer wieder um die Vergebung unserer Schuld?

Auch wenn unser Verhältnis zu Jesus eng ist, wir an seiner Hand laufen, besteht die Gefahr, seinen Segen für uns zu behalten. Leicht urteilen wir selbstgerecht über andere, die mit uns im Boot sitzen. Wir halten an der Schuld anderer fest, obwohl wir von Gottes Vergebung leben. Wenn wir Gott um Vergebung bitten, dann aus der Erfahrung, dass wir gegen unser besseres Wissen handeln, Jesu Neuanfang mit uns ausschlagen. Wir bitten Gott um Vergebung und halten ihm praktisch unsere kleinen Schritte der Vergebung als Anreiz hin: „Sieh, Vater, auch wir vergeben im Kleinen, wie wirst du erst uns vergeben wollen, der du uns als deine Kinder liebst.“

An dem zweiten Teil dieser Bitte bin ich hängengeblieben. Es hört sich ja selbstverständlich an. Gott vergibt, wie wir vergeben. Doch ist unser Vergeben selbstverständlich?

In der Urgeschichte, 1.Mose 4,23, ist vom Gesetz des Lamech die Rede, das eine Spirale der Gewalt beschreibt, wohl eher der Normalfall unter uns Menschen: „Ich töte einen Mann für meine Wunde und einen Jungen, wenn mich jemand schlägt! Ein Mord an Kain verlangt als Rache sieben Menschenleben, für Lamech müssen 77 sterben.“

Die Bitte des Vaterunsers zielt auf Veränderung. Gottes Vergebung geht einher mit unserem Verhalten und kehrt das Gesetz des Lamech um. Nicht 77-mal sollen wir uns rächen, sondern sieben mal 70-mal vergeben (Matthäus 18,22). Dabei macht es wenig Sinn, bis 490 zu zählen. Die Zahl steht symbolisch für unser Verhalten, weil wir unüberschaubar verletzen und verletzt werden. Vergebung kann nicht aufgerechnet werden, sondern ist eine Lebenshaltung weit über konkrete Anlässe hinaus. Möglich wird diese Haltung durch die Kraft des Geistes Gottes, der uns über die Klippen unserer eigenen Verletzlichkeit, unserer eigenen Möglichkeiten und Gefühle hinweghilft.

Was ist nun Vergebung konkret? Einen Schuldschein zerreißen? Ein schwarzes Blatt mit weißer Farbe überdecken?
Schauen wir uns zuerst an, was Vergebung nicht ist:

Vergeben bedeutet nicht zu verstehen
Oft läuft ja unser Vergeben so. Wir versuchen zu erklären. Du warst im Stress und bist mir deshalb über den Mund gefahren. Der 5-Jährige hat ja nicht mit Absicht sein Fahrrad in mein geparktes Auto gelenkt. Der Nachbar hat mich angeschimpft, weil er gerade mit seiner Frau Krach hatte. 

Wenn wir ein schuldhaftes Verhalten vergeben wollen, das wir verstehen und uns erklären können, ist das normalerweise unproblematisch. Wir bauen keine Rachegefühle auf, wissen ja von uns selbst, dass auch wir nicht makellos sind. Die Beziehung ist nicht infrage gestellt.

Viel schwieriger ist zu vergeben, wo ich eigentlich zum Gegenangriff übergehen würde. Wenn mir mein Vorgesetzter nicht nur einmal über den Mund fährt, sondern ständig. Wenn mein Auto jeden Tag von der anderen Familie angemackt wird. Wenn mein Nachbar ständig mit mir schimpft. Dann ist Gottes Kraft nötig, aus eigener schaffe ich das nicht.

Vergeben heißt nicht, den anderen zu ändern
Wenn ich vergebe, ist das erst einmal ein einseitiger Akt von mir, unabhängig davon, wie sich mein Gegenspieler verhält. Ich durchbreche den Kreislauf der Schuld einseitig, seine Attacken können bei mir nichts mehr bewirken. Wenn ich vergebe, kann ich nicht erwarten, dass der andere mit seinem verletzenden Verhalten aufhört. Ich kann zwar darauf hoffen, aber meine Haltung nicht von ihm abhängig machen. Wenn ich vergebe, miste ich meinen inneren Stall aus, nicht seinen.

Vergeben ist nicht gleich Vergessen
Etwas naiv ist die Vorstellung, dass man erlittenes Unrecht vergessen könnte. Genauso, wie auf meinem Knie heute noch eine Narbe zu sehen ist, die ich mir mit 7 Jahren vor dem Friedhof in Pforzheim zugezogen habe, so sind auch an meiner Seele Narben zurückgeblieben, die mich an alte Zeiten erinnern. Vergessen werde ich sie genauso wenig wie den Spaziergang mit meiner Oma damals. Selbst wenn ich denke, das eine oder andere habe ich wirklich vollkommen vergessen, ploppt es ungefragt irgendwann wieder auf. Es war nur tief in der Schublade, aber längst nicht weg. Wir brauchen das Vergeben gerade da, wo wir nicht vergessen können, weil die Schulderfahrung immer wieder anklopft und uns behindert, in die Zukunft zu gehen.

Vergeben geht nicht einher mit Versöhnen
Vergebung ist wie eine Hand, die sich aus der Faust öffnet und sich dem anderen hinhält. Für Versöhnung braucht es zwei offene Hände. Es gibt Situationen, da ist Versöhnung gar nicht mehr möglich. Jemand stirbt, ohne dass die erlösenden Worte gesprochen wurden. Jemand taucht ab und nichts kann mit ihm oder ihr geklärt werden. Trotzdem kann ich mit der Verletzung abschließen, sobald meine Faust sich geöffnet hat.

Vergebung verläuft in drei Phasen:

1 Entscheidung
Ich entscheide mich dafür, auf Ausgleich zu verzichten. Aus dem „Wie du mir, so ich dir“ steige ich aus. Ich beeinflusse bewusst meine Gedanken. Rachephantasien gebe ich nicht nach. Wächst der Groll in mir, versuche ich meinen Blick auf das zu richten, wofür ich dankbar bin. Ich schreibe auf ein Papier: „Heute vergebe ich XY“ mit Datum und Unterschrift. So vollzieht sich die Vergebung nicht nur im Kopf, sondern wird für mich auch sichtbar. Und wenn am nächsten Tag wieder der Zorn wächst, kann ich ein neues Blatt Papier schreiben, bis ich es verinnerlicht habe.

2 Neues Sehen und Fühlen
Ich lerne, die andere ohne ihre Schuld wahrzunehmen. Sie ist nicht nur die Person, die mich verletzt hat, sondern für andere hat sie ihre guten Seiten, hat ihnen geholfen, ist für sie wertvoll. Ich muss mich nicht mit ihr befreunden. Ich muss nicht mit ihr dicke sein, aber kann sie stehen lassen in ihrem Lebensbereich und ihr zugestehen, dass Gott auch mit ihr einen Weg hat.

3 Gutes wünschen
Jesus rät uns, die zu segnen, die uns fluchen. Das klingt übermenschlich. Doch gemeint ist, Gott in das Leben unserer Widersacher zu wünschen. Ihnen einen Neuanfang zuzugestehen, unabhängig von mir. Sie Gott anzubefehlen, der die Verantwortung für sie trägt, denn ich lasse los.

Nach diesen 3 Phasen ist der Stall der Seele ausgemistet, und ich bin bereit für Neues. Die Vergebung Jesu ist angekommen und hat gewirkt. Vergleichbar ist sie dem Waschpulver. Mit Waschpulver muss an den Flecken nicht lange gerubbelt werden, das Pulver wirkt auch ohne Gewalt. So wirkt Gott an uns, ohne Rubbeln, ohne Gewalt, er reinigt uns in der Tiefe und macht uns neu. 

Gottes Vergebung und die Vergebung untereinander ist ein Kreislauf. Gottes Freude, uns zu vergeben, wird entfacht, wenn wir vergeben. 

Welche Hausaufgabe gibt Gott mir? Wer und wessen Schuld belasten mich? Wo muss ich selbst Schuld loswerden und um Vergebung bitten?

Kraft für diese Aufgaben gibt der Heilige Geist, ihn können wir bitten, uns zu erfüllen und mit uns die ersten Schritte zu gehen. 

Wie das tägliche Brot brauchen wir diese Heilung unserer Beziehungen, damit wir fröhlich unseren Weg in die Zukunft fortsetzen können, ohne Ballast, der uns die Luft zum Atmen raubt.

Cornelia Trick


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