Versuchungen (Matthäus 4,1-11)
Gottesdienst am 14.2.2016 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
auf meinem täglichen Weg mit dem Auto zur Kirche begegnet mir regelmäßig ein Schlagloch. Es ist nicht das einzige unterwegs, aber es liegt genau in meiner Spur. Wenn ich nicht daran denke, fahre ich voll darüber. Es ist eine echte Kunst ihm auszuweichen. Und oft genug habe ich trotz Vorsicht doch noch was davon erwischt, echt ärgerlich. Ein Schlagloch beginnt ganz harmlos. Durch einen Riss in der Asphaltdecke sickert Wasser ein. Bei Frost dehnt sich das gefrorene Wasser aus. Der Riss ist die schwächste Stelle und gibt nach, das Loch entsteht. So ein kleines unscheinbares Loch bröckelt immer weiter auf, bis es zu einer echten Gefahr für Autos und Menschen wird.

Schlaglöcher in unserem Leben entstehen auch zuerst unbemerkt. Ein kleiner Riss in einer Beziehung, der lange unbemerkt bleibt. Dann kommen Belastungen, Sorgen, unvorhergesehene Ereignisse dazu, eine Frostperiode in der Beziehung und vielleicht ein Dritter, der so gut trösten kann. Aus einem kleinen Riss wird ein großes Loch, die Versuchung war einfach zu groß.

Die Passionszeit beginnt mit dem großen Thema „Versuchungen“. Jesus machte ganz am Anfang seines öffentlichen Wirkens Erfahrungen mit Versuchungen. Sein Umgang damit kann auch für uns heute Hilfe sein.

Jesus hatte gerade eine ganz intensive Gotteserfahrung hinter sich. Gott hatte ihn in der Taufe angesprochen: „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“  Für Jesus war das wie eine Berufung, sein himmlischer Vater stellte sich zu ihm und hinter ihn, er schickte ihn los, um anderen von diesem Gott zu erzählen, der auch ihr Vater sein wollte.

Gleich im Anschluss wird diese Aussage Gottes in Frage gestellt: „Bist du wirklich Gottes Sohn?“

Matthäus 4,1-11

Danach führte der Geist Gottes Jesus in die Wüste, wo er vom Teufel auf die Probe gestellt werden sollte. Nachdem er vierzig Tage und Nächte gefastet hatte, war er hungrig. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: »Wenn du Gottes Sohn bist, dann befiehl doch, dass die Steine hier zu Brot werden!« Jesus antwortete: »In den Heiligen Schriften steht: 'Der Mensch lebt nicht nur von Brot; er lebt von jedem Wort, das Gott spricht.'« Darauf führte der Teufel ihn in die Heilige Stadt, stellte ihn auf den höchsten Punkt des Tempels und sagte: »Wenn du Gottes Sohn bist, dann spring doch hinunter; denn in den Heiligen Schriften steht: 'Deinetwegen wird Gott seine Engel schicken und sie werden dich auf Händen tragen, damit du dich an keinem Stein stößt.'« Jesus antwortete: »In den Heiligen Schriften heißt es auch: 'Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht herausfordern.'« Zuletzt führte der Teufel Jesus auf einen sehr hohen Berg, zeigte ihm alle Reiche der Welt in ihrer Größe und Pracht und sagte: »Dies alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.« Da sagte Jesus: »Weg mit dir, Satan! In den Heiligen Schriften heißt es: 'Vor dem Herrn, deinem Gott, wirf dich nieder, ihn sollst du anbeten und niemand sonst.'« Darauf ließ der Teufel von Jesus ab, und Engel kamen und versorgten ihn.

Jesus ist vierzig Tage in der Wüste und bereitet sich so auf seinen Dienst vor. Der Geist Gottes führte ihn in die Wüste und diese besondere Gottesnähe. Jesus fastet und betet, wird leer, damit der himmlische Vater ihn füllen kann.

Doch Leerwerden bietet Angriffsfläche, in diese besonders sensible Zeit bricht der Teufel ein. Wer ist dieser Teufel? Schon in der Idylle des Paradieses versucht er in der Gestalt einer Schlange Adam und Eva. Die Bibel berichtet nicht, woher das Böse kommt. Sie beschreibt die Realität. Es gibt Böses, und oft nimmt das Böse auch konkrete Gestalt an, zieht sich eine Maske über, wird zur Schlange, ist ein Teufel, der versucht und von Gott wegzieht, verstellt sich als innere Stimme, die einflüstert: „Sollte Gott gesagt haben?“

Diese Macht, die so bedrohlich ist und so viel zerstört, gießt Wasser über den Asphalt unserer Gottesbeziehung. Eine kleine Schadstelle genügt, und schon dringt sie ein, breitet sich aus und reißt auf und auseinander.

Doch diese Macht, so sagt es die Bibel auch, hat nie das letzte Wort. Gott ist stärker und wird sie besiegen. Das Böse trägt einen Stempel mit Verfallsdatum: In der Ewigkeit wird es keinen Raum mehr haben.
Jesus ist intensiv im Gebet. Er ist Gott ganz nahe. Aber selbst Jesus spürt den leeren Magen, seit vierzig Tagen hat er kaum etwas gegessen. An dieser Schwachstelle hakt der Teufel ein. 

Existenzielle Lebensnot

Jesus wird an einer empfindlichen Stelle gepackt. Sein Bauch ist leer, der Kreislauf funktioniert nur auf Sparflamme, sein Kopf wird ein bisschen schwindlig sein.

Hunger kann auch im übertragenen Sinne zu einer Angriffsfläche des Bösen werden. Da hat jemand Hunger nach Mehr im Leben, sein Herz hat Hunger. Er will mehr Bestätigung, mehr Sinn, mehr Bedeutung für sein Leben. Will nicht als eine Sternschnuppe verglühen, sondern Bleibendes hinterlassen. Der Teufel lässt die innere Stimme sprechen: „Schaff es dir selbst. Nimm dein Leben selbst in die Hand. Füll deinen leeren Bauch und dein leeres Herz mit Brot dieser Erde.“

Ein Mann arbeitet weit über seine Kräfte. Er sehnt sich nach dem Lob seines Chefs. Als irgendwann wirklich eine Beförderung ausgesprochen wird und seine Freunde tief durchatmen, weil sie denken, jetzt wird er wieder Lebensfreude entdecken, geht es gerade so weiter. Bis weit in den Abend sitzt er in der Firma, sein Glück ist, dass er an einem Rewe vorbei kommt, der bis 24 Uhr offen hat. Er selbst merkt es nicht, aber seine Freunde spüren, wie sein Hunger ihn umbringen wird. Er sucht sich Nahrung für die Seele auf falschen Märkten.

Doch Jesus enttarnt diese Stimme und hält ihr entgegen: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von Gott.“ Er klärt den Teufel auf, dass er allein auf Gott vertraut. Der wird ihm geben, was er braucht. 

Damals ließ Gott auf das Volk Israel in der Wüste Manna regnen, er wird Jesus auch jetzt versorgen. Und letztlich beten wir genau das im Vaterunser: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Wir sagen Gott, dass wir von ihm die Leerstellen in unserem Leben füllen lassen wollen, nicht selbst die Bäckereien stürmen.

Jesus konnte dem Flüstern des Bösen widerstehen. Sein Asphalt der Gottesbeziehung hielt. Können wir das auch? Vielleicht ist es wichtig, dass wir uns über unsere Leerstellen bewusst werden. Wo spüren wir Hunger? Worauf zielen unsere Sehnsüchte? Wo können wir uns in dieser Passionszeit noch viel mehr in Gottes Nähe bergen und von ihm Brot des Lebens erbitten?

Gottesprobe

Die zweite Versuchung führt Jesus auf das Dach des Tempels. Der Versucher zitiert den heute am häufigsten gewählten Taufspruch: „Der Herr hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten.“ (Psalm 91,11) Sollte dieser Bibelspruch nicht stimmen?

Doch die Betonung ist anders als in der Bibel. Hier geht es nicht um das Beschützt-Werden, um Bergen und Kümmern Gottes, sondern Gott wird vorgeführt. Er wird zum Dienstleister degradiert, der auffängt, wann immer es mir gefällt zu springen.

Ich vergleiche das mal mit dem Familienleben. Man sitzt zum Essen am Tisch. Einer kippt sein Glas aus Versehen um, alles schwimmt in Apfelsaft. Ich springe auf und hole Tücher, um den Schaden schnell zu begrenzen. Der andere entschuldigt sich, er hat es ja nicht absichtlich getan. Zehn Minuten später sind alle wieder friedlich beim Essen. Ganz anders wäre es, wenn der andere so oft absichtlich sein Glas umkippen würde, bis ich ausraste. Dann wäre ich Dienstleisterin, nicht mehr Mutter bei Tisch. Und spätestens beim dritten Mal würde die Tischgemeinschaft ziemlich ins Wanken geraten.

Jesus antwortet dem Teufel mit einem Bibelwort, in dem er genau das ausdrückt: „Du sollst den Herrn nicht versuchen.“ (5. Mose 6,16)  Spiele nicht mit Gott und missbrauche ihn nicht für deine Zwecke. Er ist dein Vater, der es gut mit dir meint, der dir zugesagt hat, dass er dir treu ist. Da musst du keine Beweise einfordern. 

Machtfrage

Die Versuchungen steigern sich. Hier steht die Grundsatzfrage zur Debatte. Gibt es Macht ohne Gott? Kann Jesus Weltherrscher werden ohne den Weg ans Kreuz? Und auf uns heruntergebrochen: Können wir über unser Leben regieren ohne Gottes Segen und ohne auf seinen Willen zu achten? Können wir sagen, dass alles, was wir uns erarbeitet haben, uns gehört und niemand etwas angeht?

Jesus kämpfte sein ganzes Leben gegen diese Versuchung. Immer wieder hörte er die Stimme, die ihm vorgaukelte, dass er aus eigener Kraft Messias sein konnte. Selbst als er schon am Kreuz hing, gingen die Leute unter dem Kreuz vorbei und riefen ihm zu: „Bist du der Christus, so steig herab vom Kreuz.“

Jesus bestand diese Versuchung. Er ging uneigennützig den Weg in die Passion, er nahm es hin, als Verbrecher gekreuzigt und nicht als makelloser Held verehrt zu werden, der die Kranken gesund gemacht hatte. Er schaffte das, so lesen wir es in den Evangelien, weil er viel Zeit im Gebet verbrachte und Gottes Stimme hören konnte. 

Unser Leben ist von Versuchungen geprägt. Risse vertiefen sich, wir greifen nach Brot statt nach Himmelsbrot. Wir fordern Gott heraus und wollen sein OK zu unseren Plänen. Wir wollen selbst groß sein.  Der Teufel ist die Macht, die Gottes Willen widersteht. Diese Macht zieht mich weg von Gott, will zerstören. Sie setzt an den schwachen Punkten an. Vielleicht ist es das Thema Treue. Sollte ich meinem Partner, meinen Projekten, Gott treu sein? Mag sein, sie kratzt an meiner Stabilität, stürzt meine Seele in ein Chaos. Sie kratzt auf jeden Fall an meinem inneren Kern, den ich sicher glaubte.

Jesus lebt uns vor, wie wir auf Risse aufmerksam werden können. Er war im Gespräch mit Gott. Die Passionszeit ist nicht nur Fasten-, sondern auch Gebetszeit. Sie erinnert uns daran, wie wichtig es ist, sich gegen Versuchungen stärken zu lassen.

Auch die Gemeinschaft mit Christen hilft. Petrus, der Jesus dreimal verriet und offensichtlich der Versuchung, sich selbst zu retten, nicht widerstehen konnte, wurde in der Gemeinschaft der Jünger gehalten, bis Jesus ihm begegnet ist und ihm vergeben hat.

Wir haben in der Gemeinde die Chance, uns festhalten zu lassen, andere zu bitten, für uns zu beten und uns Gottes Vergebung zusprechen zu lassen, wenn wir doch wieder ein Schlagloch aufgerissen haben. 

„Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“ Diese Bitte des Vaterunser drückt aus, wie sehr wir Gottes Begleitung und seinen Schutz brauchen, dass das Böse uns nicht von ihm wegreißen kann.

Ein Busunternehmer in den Schweizer Bergen suchte einen neuen Fahrer. Drei Bewerbungen gingen bei ihm ein. Er stellte allen drei Bewerbern die gleiche Frage: „Wie nahe können Sie an einen Abgrund heranfahren ohne abzurutschen?“ Der erste antwortete: 5m, der zweite meinte: 2 m, der dritte sagte: „Gott bewahre! Ich bleibe so weit vom Abgrund entfernt wie es geht!“ Der dritte Bewerber wurde eingestellt.

Cornelia Trick


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