Gottesdienst am 08.08.1999
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
vor 2 Wochen haben wir Paulus nach Athen begleitet.
Wir wurden Zeugen der europäischen Niederlage, aber wenige kamen zum
Glauben. Die Gemeinde begann mit einer Handvoll Leuten und ist gewachsen.
Heute machen wir einen Sprung zum Ende der Missionsreisen des Paulus. Wir
gehen mit ihm nach Jerusalem. Paulus möchte unbedingt nach Jerusalem,
weil er die Kollekte der griechischen Gemeinden in der Urgemeinde abgeben
will. Dieses Zeugnis der bleibenden Verbundenheit der griechischen Christen
mit der jüdischen Gemeinde ist ihm wichtig. Als er in Jerusalem eintrifft,
bringt er einen vollen Rucksack mit. Zum einen ist da die Kollekte drin,
zum andern Prophezeihungen, die ihm mit auf den Weg nach Jerusalem mitgegeben
wurden (siehe Anhang).
Dem Rucksackinhalt können wir entnehmen,
dass Paulus offensichtlich mit Spannung nach Jerusalem kommt. Was würde
ihn da erwarten? Die Widerstände von Judenchristen, die durch ihn
und seinen gesetzesfreien Lebenswandel Druck von den Juden bekamen? Und
tatsächlich lässt sich die Situation der Gemeinde
in Jerusalem gut mit "zwischen den Stühlen" beschreiben. Sie haben
das Evangelium von Jesus Christus angenommen, der Bruder Jesu, Jakobus,
ist ihr Gemeindeleiter und bürgt für die Kontinuität der
Lehre seit Jesus. Weiterhin befolgt die Gemeinde das Gesetz und wahrt damit
auch die nationale Identität. Mit Paulus ist die Gemeinde wiederum
verbunden durch den gemeinsamen Glauben an Jesus Christus, eine gesetzesfreie
Griechenmission akzeptieren sie aus dem Abstand heraus. In Jerusalem jedoch
liegen die Dinge anders. Die Gemeinde kann nur überleben, wenn die
Juden sie nicht als Konkurrenz empfinden und auch nicht als Kollaborateure
der Römer verdächtigen. Die strikte Gesetzesbeachtung der jerusalemer
Urgemeinde beruhigte die Juden und schaffte Verbundenheit.
Als Paulus in Jerusalem ankommt, schafft das
sofort Probleme. Verbunden sind sie mit ihm im gemeinsamen Glauben und
im gemeinsamen Ziel, Menschen mit Jesus Christus bekannt zu machen. Getrennt
sind sie von Paulus im Umgang mit der jüdischen Herkunft. Die Gemeinde
fürchtet Paulus, sie kennt seine Unerschrockenheit. So wundert es
nicht, dass das Leitungsteam der Gemeinde Paulus schon einen Tag nach seiner
Ankunft einbestellt. Paulus wird vorgeschlagen, sich für alle sichtbar
unter das jüdische Gesetz zu stellen und ein Gelübde zu erfüllen.
Um das Gelübde zu erfüllen, muss Paulus einen Teil der mitgebrachten
Kollekte investieren. Zwar wird sie so zweckentfremdet, dient aber in weitestem
Sinne auch so der Urgemeinde - ein Aufruhr soll dadurch vermieden werden.
Paulus akzeptiert den Vorschlag:
Apostelgeschichte 21,27-36
Die sieben Tage waren fast vorüber, da sahen Juden
aus der Provinz Asien Paulus im Tempel. Sie hetzten das Volk auf, packten
Paulus und schrien: "Männer von Israel, zu Hilfe! Das ist der Verräter,
der überall unter allen Menschen Lehren verbreitet, die gegen unser
Volk und gegen das Gesetz und gegen diesen Tempel gerichtet sind! Jetzt
hat er sogar Griechen in den Tempel mitgebracht und diesen heiligen Ort
entweiht!" Sie hatten nämlich Paulus vorher in der Stadt mit
Trophimus aus Ephesus zusammen gesehen und dachten, er hätte ihn auch
in den Tempel mitgenommen. In Windeseile sprach es sich in der Stadt
herum, und das Volk lief zusammen. Sie packten Paulus, zerrten ihn aus
dem Heiligtum, aus dem inneren Vorhof, hinaus, und sofort wurden die Tore
hinter ihm geschlossen. Die Menge stürzte sich auf Paulus und wollte
ihn schon umbringen, da wurde dem Kommandanten der römischen Garnison
gemeldet: "Ganz Jerusalem ist in Aufruhr!" Sofort nahm er seine Soldaten
samt ihren Hauptleuten und eilte zu der Volksmenge. Als die Leute den Kommandanten
und die Soldaten kommen sahen, ließen sie davon ab, auf Paulus einzuschlagen.
Der Kommandant ging auf Paulus zu, nahm ihn fest und ließ ihn mit
zwei Ketten fesseln. Dann wollte er von den Umstehenden wissen, wer der
Mann sei und was er getan habe. Aber in der Menge schrien die einen dies,
die andern jenes. Weil der Kommandant bei dem Tumult nichts Sicheres herausbekommen
konnte, befahl er, Paulus in die Kaserne zu bringen. Am Aufgang zur Kaserne
kam die Menge Paulus gefährlich nahe, so daß die Soldaten ihn
tragen mußten. Denn das ganze Volk lief hinterher und schrie: "Weg
mit ihm!"
Es kommt anders als geplant. Das Gelübde
kann die Leute in Jerusalem nicht besänftigen. Es kommt zu Aufruhr,
Verhaftung, Paulus landet in den Händen der Römer. Die Gemeinde
wird nicht mehr erwähnt, von einem Geleitschutz hören wir nichts,
von einer Intervention beim Gericht auch nicht. Wir stellen fest, die Gemeinde
lässt Paulus fallen, er ist das Opfer für ihr Bleiberecht unter
den Juden.
Paulus Weg ist Heilsgeschichte. Gott hat ihn
ausersehen, um das Evangelium über Israel hinaus in die Welt zu tragen.
Doch dass die Gemeinde Paulus fallen lässt, ist mit Gottes Willen
nicht vorschnell zu erklären. Das Vorgehen in Jerusalem widerspricht
dem Bild von der Urgemeinde ganz am Anfang der Apostelgeschichte. Dort
heißt es: Sie blieben aber beständig in der Lehre, in der Gemeinschaft,
im Brotbrechen und im Gebet (Apostelgeschichte 2,42). Statt dessen sehen
wir hier, wie die Gemeinschaft nach innen zerbricht, weil sie sich an die
Umgebung anpasst.
Hier bin ich beim Studium der Geschichte des
Paulus und der ersten Gemeinden aufmerksam geworden. Die Apostelgeschichte
ist nicht nur Beispiel für die überwältigende Führung
Gottes und den Weg des Evangeliums in die Welt, sie ist auch Beispiel für
Fehlentwicklungen und Warnung an uns, es nicht ebenso zu machen.
Gemeinde zwischen den Stühlen
Die Situation, zwischen den Stühlen zu sitzen,
dürfte nicht unbekannt sein. Hier ein paar Alltagsbeispiele:
-
Die Gemeinde plant einen Umbau, der viel Geld kosten
wird. Ein paar Leute sind dagegen. Sie argumentieren, dass wir doch schon
alles haben und die Christen in der Mission unser Geld viel dringender
brauchen. Die Mehrheit der Gemeinde ist für den Umbau. Die Befürworter
der Mission werden fallen gelassen und als ewige Miesmacher abgestempelt.
-
Ein Kollege im Geschäft wird systematisch nieder
gemacht. Herr A schweigt dazu aus Angst, er könne der nächste
sein. Insgeheim hat er ein schlechtes Gewissen und empfindet Scham, sich
nicht zu Herrn A zu stellen.
-
Eine junge Frau stößt zur Gemeinde, sie
ist alleinstehend und sucht Anschluss. Es ist unbequem für die Familien,
sie am Wochenende einzuladen. Sie zieht sich zurück und die Gemeinde
merkt gar nicht, dass sie sie verloren hat aus Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit.
Es sind nur Alltagsbeispiele, doch sie zeigen, dass
Jerusalem nicht weit weg ist. Die Lehrstreitigkeiten zwischen Juden, Judenchristen,
Heidenchristen sind verblasst, statt dessen sind wir zu Wanderen zwischen
den Welten geworden - zwischen den eigenen Bedürfnissen, der Umwelt
und dem Glauben.
Was ist nötig um Zivilcourage
zu zeigen?
Die
entscheidende Frage ist für mich: Wie können wir es besser machen
als die Jerusalemer Urgemeinde? Was ist nötig um Zivilcourage zu zeigen?
In der Bergpredigt macht Jesus uns auf vielerlei
Weise deutlich, wie es geht Zivilcourage zu zeigen. Ich knüpfe an
die letzten Sonntage an: Salz und Licht sind wir, den Geboten entsprechend
leben wir, unser Haus muss auf festem Grund gebaut sein.
Das Herz der Bergpredigt aber ist die persönliche
Frömmigkeit, das persönliche Verhältnis zu Gott. Ehrlich
und offen, spontan und ernsthaft soll unser Umgang mit Gott sein und nicht
eingepasst in äußere Formen. Im Herzstück der Bergpredigt,
dem Vater Unser, formuliert es Jesus so: Vater, dein Wille geschehe wie
im Himmel, so auf Erden. Zivilcourage bedeutet also, dem Willen Gottes
zu entsprechen und ihn in der Welt umzusetzen. Der Wille Gottes ist, dass
Menschen zu Jesus Christus finden und mit ihm eine Lebensgemeinschaft eingehen.
Der Wille Gottes ist, in ihm immer wieder eins zu werden und Menschen zu
retten auch gegen die Mehrheit. So jedenfalls hat uns Jesus den Willen
Gottes vorgelebt und nahe gebracht.
Angewandt auf die Urgemeinde in Jerusalem heißt
das:
-
Um Gottes Willen zu ringen, wie es zu Anfang der
Mission des Paulus in Antiochien geschah. Da saßen sie zu fünft,
beteten und fasteten, bis Gott zu ihnen sprach.
-
Auf seine Antwort zu warten. Denkbar wäre als
Antwort Gottes, Paulus nur mit Geleitschutz in den Tempel zu lassen, Paulus
schnellstens mit dem nächsten Schiff wieder in die Mission zu schicken,
Paulus zu verstecken, für Paulus vor Gericht einzutreten und gegen
Kaution seine Freiheit zu beantragen.
-
Mit ihm in Verbindung zu bleiben und sich mit seiner
Theologie auseinander zu setzen. Hatte er nicht auch den Judenchristen
etwas zu sagen? Wies er sie nicht wieder neu hin auf die Priorität
Jesu vor allem Opportunismus?
Angewandt auf uns heute, die wir immer noch zwischen
den Stühlen sitzen, bedeutet das doch: Das Herz für Zivilcourage
bekommen wir durch das persönliche Verhältnis zu Jesus Christus.
Es ist ein tägliches Fragen nach dem Willen Gottes und ein tägliches
Warten auf Antwort.
-
In der Gemeindesituation des möglichen Umbaus
setzen sich die Gemeindeleute zusammen und beten und ringen, was ihr Auftrag
ist. Hilft der Umbau, die Gemeinschaft zu pflegen, selbst besser mit Jesus
Christus zu leben, Menschen zu Jesus Christus einzuladen? Oder ist es dran,
etwas für andere zu tun, selbstlos und freigiebig? Eine Entscheidung
muss dann nicht unbedingt von der Mehrheit getragen sein. Aber die Entscheidung
muss im Gebet und Ringen klar geworden sein und gewinnt von daher Autorität.
Auch eine Person, die eine Antwort auf ihr Gebet bekommen hat, kann eine
Entscheidung beeinflussen. Und was genauso wichtig ist, die Leute, deren
Vorschlag nicht berücksichtigt wurde - die Verlierer - sind in Liebe
zu gewinnen. Das braucht Zeit, Geduld und Wertschätzung.
-
Der Kollege, der in der Firma ausgegrenzt wird,
ist Anlass für ein intensives persönliches Gebet oder eine Gebetsgemeinschaft.
Hier heißt es auch auf einen klaren Fingerzeig zu warten. Vielleicht
weist Gott auf ein Gespräch mit dem Vorgesetzten oder dem Betriebsrat
hin. Vielleicht ermutigt Gott zu positiven Beiträgen, wenn die Kollegen
wieder einmal am Lästern sind. Und sicher ermöglicht die Zivilcourage
auch, sich öffentlich auf seine Seite zu stellen - schließlich
ist Gott der Herr auch über Arbeitgeber und Arbeitsplatz.
-
Die junge Frau, die Anschluss in der Gemeinde sucht,
ist für mich Anlass, wieder einmal unsere Grundüberzeugungen
eingehend zu studieren. Da steht, wir heißen alle willkommen und
nehmen sie an. Gott kann durch diese kurzen Sätze zu uns sprechen
und uns genau auf die Person hinweisen, die wir durch unser Verhalten ausgrenzen.
Auch hier ist das persönliche Verhältnis zu Jesus Christus der
Impuls, Verhalten zu ändern und nicht immer zuerst den persönlichen
Bedürfnissen nachzugeben. Aus der persönlichen Betroffenheit
kann sich ein Team entwickeln, das regelmäßig Alleinstehende
aufnimmt und ihnen den "Familienanschluss" in der Gemeinde gewährt.
Die Jerusalemer Urgemeinde hat keine Zivilcourage
bewiesen. In den Wirrnissen des jüdischen Kriegs ist sie untergegangen.
Die Heidenmission des Paulus hat seinen Gründer überlebt. Gesetzesfrei
mit Jesus zu leben und sich trotzdem nach seinen Geboten zu richten, ist
bis heute Kennzeichen von uns Christen. Es wäre für uns Christen
gut gewesen, wir hätten die Einheit zu allen Zeiten in Jesus Christus
gesucht und uns nicht gegenseitig fallen gelassen aus Rücksicht auf
alle möglichen Umstände.
Heute liegt es bei Ihnen und mir, Zivilcourage
zu zeigen und unsere Überzeugungen und unseren Lebensstil aus der
innigen Verbindung mit Jesus Christus zu entwickeln. Möge die Szene
in Jerusalem uns Warnung sein, uns rechtzeitig im Gebet und Ringen um Gottes
Willen zusammen zu setzen und den Weg in Gottes Zukunft miteinander zu
finden.
Anhang
Römer 15,30-31
Brüder und Schwestern, im Namen unseres Herrn
Jesus Christus und bei der Liebe, die der Heilige Geist schenkt, bitte
ich euch inständig: Betet für mich zu Gott! Setzt euch in euren
Gebeten zusammen mit mir dafür ein, dass ich vor den Nachstellungen
der Ungläubigen in Judäa gerettet werde und daß meine Hilfe
für Jerusalem von den Gläubigen dort gut aufgenommen wird.
Apostelgeschichte 20,22-23
Seht, ich gehe jetzt nach Jerusalem - gefesselt
vom Heiligen Geist und als sein Gefangener. Ich weiß nicht, wie es
mir dort ergehen wird; aber das weiß ich: In jeder Stadt, in die
ich komme, kündigt der Heilige Geist mir an, daß in Jerusalem
Verfolgung und Fesselung auf mich warten.
Apostelgeschichte 21,4
Wir suchten die Jünger am Ort in Tyrus auf
und blieben eine Woche bei ihnen. Vom Heiligen Geist getrieben, warnten
sie Paulus vor der Reise nach Jerusalem.
Apostelgeschichte 21,10-11
Nach einigen Tagen kam aus Judäa ein Prophet
namens Agabus. Er trat in unsere Mitte, nahm Paulus den Gürtel ab,
fesselte sich damit die Hände und die Füße und sagte: »So
spricht der Heilige Geist: 'Den Mann, dem dieser Gürtel gehört,
werden die Juden in Jerusalem genauso fesseln und ihn den Fremden ausliefern,
die Gott nicht kennen.
Cornelia
Trick
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