Kraftquelle der Gemeinde
Gottesdienst am 23.01.2011

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,
die diesjährige Allianzgebetswoche Anfang Januar trug die Überschrift „Gemeinsam beten und dienen“. Am zweiten Abend war das erste Gebet der Urgemeinde in Jerusalem ausgewählt worden. Dieses Gebet löste eine tiefe Sehnsucht in mir aus, in der Gemeinde einig die Hände zu falten und im Hören auf Gott Antwort zu bekommen, die den Weg in die Zukunft weist. Ein solches Gebet bewirkt, dass die Gemeinde leicht ihren Alltag lebt, nicht ihr Tun und Schaffen, Abarbeiten und Planen entscheidet über Gelingen oder Scheitern, sondern Gottes Wirken, seine Motivation, seine Kraft setzen die Gemeinde in Bewegung.

Vorhin hörten wir in der Lesung Jesus, wie er vom Gebet redete, und sein Fazit war: „Wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“ (Lukas 11,13)

Der Heilige Geist wurde zu Pfingsten ausgegossen, Glaube an Jesus und die Gemeinde entstanden. Doch der Heilige Geist will immer wieder ausgegossen werden, wie beim Blumengießen reicht das erste Gießen des jungen Pflänzchens nicht, es braucht regelmäßig Wasser. So braucht die Gemeinde regelmäßig den Heiligen Geist. Sie kann nur mit diesem Geist wachsen, in der Dunkelheit leuchten, anderen Heimat, Wärme und Orientierung geben. Der Heilige Geist schenkt den Zusammenhalt in der gemeinsamen Aufgabe, die Gott gibt.

Doch diese Bitte um den Heiligen Geist muss ehrlich geschehen. Wenn wir im Herzen lieber alles so haben, wie es immer war, sollten wir ihn nicht erbitten. Denn er kann sich ergießen wie das Hochwasser, das wir in diesen Tagen gerade am Main hatten. Der Heilige Geist kann alles Gewohnte und Liebgewordenes, manches Verborgene im Keller überspülen, wegreißen und zerstören. Der Heilige Geist kann auch so zart kommen, dass wir mit unserem Segelboot „Gemeinde“ erstmal keinen Zentimeter von der Stelle kommen, sondern hin und herdümpeln und dabei Geduld lernen.

Das Gebet um den Heiligen Geist ist immer voller Überraschungen, aber es bereitet vor auf das, was Gott mit der Gemeinde bewegen will.

Das erste uns überlieferte Gemeindegebet markiert einen Einschnitt in der Urgemeinde. Bis dahin war die Gemeinde ein Erfolgsmodell. 3000 waren nach der ersten Predigt von Petrus zum Glauben gekommen. Als der gelähmte Mann an der schönen Pforte des Tempels in Jerusalem von Petrus und Johannes geheilt worden war, stieg die Zahl der Jesusanhänger sogar auf 5000. 5000 Menschen hatte Jesus mit 5 Broten satt gemacht, 5000 gehörten zur jungen Gemeinde, die von Jesus, dem Brot des Lebens, gesättigt wurden. Der Heilige Geist brach wie ein reißendes Hochwasser über Jerusalem herein, riss Menschen aus ihrem gewohnten Leben in die Nachfolge Jesu mit und brachte die bestehende Ordnung ganz schön durcheinander. Kein Wunder, dass sich Widerstand regte. Man nahm die Aufrührer Petrus und Johannes fest und stellte sie vor das Gremium, das schon den Tod Jesu beschlossen hatte. Doch jetzt mit einem gewaltigen Unterschied. Damals verleugnete Petrus Jesus dreimal, als er vor dem Hohen Rat im Hof wartete, nun hieß es, dass Petrus voll des Heiligen Geistes war. Und so legte Petrus vor diesem mächtigen Gremium dar, dass es nur einen Weg zu Gott gibt, nur im Glauben an Jesus. Dieser Auffassung musste der Hohe Rat widersprechen, aber sie waren verunsichert. Einfache Fischer maßten sich an, so mutig von Jesus zu sprechen, und draußen warteten 5000 Leute auf sie. Ein Aufstand war möglich. So ließen sie die beiden lieber frei, verhängten ihnen allerdings einen Maulkorb. Sie durften nichts mehr von Jesus verbreiten, weder in den Häusern von ihm lehren, noch auf den Straßen öffentlich verkünden. Dieser Maulkorb bedeutete den sicheren Tod der Gemeinde, denn ohne Jesus beim Namen zu nennen, konnte die Gemeinde nicht leben.

Apostelgeschichte 4,23-31

Und als man sie hatte gehen lassen, kamen sie zu den Ihren und berichteten, was die Hohenpriester und Ältesten zu ihnen gesagt hatten. Als sie das hörten, erhoben sie ihre Stimme einmütig zu Gott und sprachen: Herr, du hast Himmel und Erde und das Meer und alles, was darin ist, gemacht, du hast durch den heiligen Geist, durch den Mund unseres Vaters David, deines Knechtes, gesagt (Psalm 2,1-2): »Warum toben die Heiden, und die Völker nehmen sich vor, was umsonst ist? Die Könige der Erde treten zusammen, und die Fürsten versammeln sich wider den Herrn und seinen Christus.« Wahrhaftig, sie haben sich versammelt in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast,  Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels, zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hatten, dass es geschehen solle. Und nun, Herr, sieh an ihr Drohen und gib deinen Knechten,  mit allem Freimut zu reden dein Wort; strecke deine Hand aus, dass Heilungen und Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen deines heiligen Knechtes Jesus. Und als sie gebetet hatten, erbebte die Stätte, wo sie versammelt waren; und sie wurden alle vom heiligen Geist erfüllt und redeten das Wort Gottes mit Freimut.

Die beiden Gemeindeleiter liefen nach der Freilassung sofort zu ihrer Gemeinde, die sich in irgendeinem Haus traf. Sie erzählten von ihrer Auflage. Wie reagierte die Gemeinde? Brach sie in Wehklagen aus, zitterte sie vor Angst, zerstreute sie sich, ersann sie eine Strategie, um die 5000 Anhänger zu mobilisieren? Oder plante sie die Flucht, um woanders neu anzufangen? Nein, von alledem hören wir nichts. Stattdessen setzten sie sich zusammen, um einmütig zu beten.

Einmütig beten

Wie geschieht ein einmütiges Beten? Sicher ist das einmütige Beten uns nicht in die Wiege gelegt. Wie beim Kleinkind, das zuerst an sich selbst denkt und sich selbst als Mittelpunkt der Welt erlebt, haben wir am Anfang unseres Glaubens die Tendenz, uns als Mittelpunkt von Gottes Welt zu erleben. Es geht um mich, um meine Lebenskraft, um mein gelingendes Leben, um meine Berufung und meine Probleme. Klar, ich bete auch für andere, aber eigentlich bin ich mehr bei mir selbst. Wie das Kind allmählich lernt, dass die Welt sich durchaus nicht nur um das Kind selbst dreht, sondern dass da noch andere Menschen sind, die genauso wichtig sind, so lernen wir auch, dass Gottes Gebetserhörungen nicht nur für uns gut sind, sondern dass er jeden und jede andere genauso liebt. Das Ich rückt aus dem Zentrum der Gottesbeziehung, das Wir nimmt nun an dessen Stelle Platz. Einmütig zu beten, heißt den gemeinsamen Auftrag, die gemeinsame Verantwortung, die gemeinsame Herausforderung anzunehmen und miteinander vor Gott zu treten. Um einmütig zu beten, müssen wir nicht alle im Gleichschritt laufen und im gleichen Takt ticken. Aber wir müssen uns selbst mit unseren ureigenen Wünschen und Vorstellungen aus dem Zentrum rücken, um bereit zu sein, im Wir zu sprechen, zu bitten, zu hören. 

Die Urgemeinde war in einer menschlich ausweglosen Lage. Alle Wege waren versperrt durch den Maulkorberlass, dicke Betonmauern zogen sich um die christliche Kirche, und intern konnte sie nicht sicher sein, ob sich Spione einschleichen würden. Da blieb nur der Blick nach oben frei. Und von oben, direkt vom Herrn bekamen sie ein Wort geschenkt. Ob einer von ihnen sich an den zweiten Psalm erinnerte, ob sie die Schriften wahllos aufschlugen und Gott zutrauten, dass er sie die richtige Stelle finden ließ, ob Psalm 2 gerade aufgeschlagen vor ihnen lag, wir wissen es nicht. Aber wir spüren, dass sie sich Gottes Wort nicht selbst gesucht haben, sondern es geschenkt bekamen. Wie kein anderer Psalm beschreibt dieser die Lage der jungen Gemeinde. Heiden, Könige, ja, so ergänzt die Gemeinde, sogar die Stämme Israels selbst stellen sich gegen den Sohn auf, den Gott zum neuen König gekrönt hat. Aber sie können nichts ausrichten. Sie müssen an der langen Leine Gottes laufen, ob sie wollen oder nicht. Der Psalm zitiert sie: „Lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Stricke“, doch es gelingt ihnen nicht. Egal was sie tun, sie arbeiten Gott in die Hand. Und Gott? Von ihm heißt es „Aber der im Himmel wohnt, lacht ihrer und der Herr spottet ihrer“. Diesen Psalm bekam die junge Gemeinde in die Hand und wurde vom Heiligen Geist eingeladen, mit in das Lachen über die schon längst entmachteten Feinde einzustimmen. Obwohl sie kein Wort mehr über Jesus verlieren durften, hörten sie im Gebet Gottes Lachen über die Verfolger und durften einstimmen. Trotz Betonwänden um sie herum kommt Licht in ihr Gefängnis, macht Mut und Hoffnung, dass Gott einen Ausweg schenkt.

Das einmütige Gebet ist seitdem Vorbild für uns. Gerade wenn die Situation eng wird, wenn wir merken, dass wir mit unserer Kraft am Ende sind, vielleicht darum ringen, Menschen zu Jesus einzuladen, die sich nur uninteressiert abwenden, will Gott uns einen, uns anreden, uns ein Wort geben, das uns weiterführt. Und wir untereinander können uns dieses Wort von oben auch zusprechen, uns gewiss machen auf dem Weg.

In einer für mich sehr herausfordernden Situation, in der ich mich auch in einem solchen Gefängnis fühlte und nicht erkennen konnte, wohin Gott mit mir wollte, um seine Gemeinde zu bauen, gab mir eine Frau aus der Gemeinde eine Postkarte, auf der stand: „Gott, der Herr, gibt mir die rechten Worte, damit ich erschöpfte Menschen zur rechten Zeit ermutigen kann. Morgen für Morgen weckt er mich und dann höre ich zu.“ (Psalm 50,4). Ich weiß nicht, ob diese Frau die Karte ganz bewusst auswählte, jedenfalls traf sie mich wie ein Erdbeben. Was für mich so in Frage stand, war hier ganz klar formuliert. Ich sollte erschöpfte Menschen ermutigen, und das nicht aus eigener Kraft, denn die hatte ich nicht. Ich sollte morgens zu allererst hören, nehmen, mich füllen lassen, dann konnte es gehen. Und es ging. 

Haben wir ein Wort Gottes für unsere Gemeinde? Ist es die Jahreslosung, die im Eingangsbereich hängt? „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“ (Römer 12,21). Lassen wir uns das gesagt sein, wenn das Negative mal wieder in uns wuchert, wir uns in unserem Ich gestört fühlen, missachtet, falsch verstanden, ungeliebt? Lassen wir es uns gesagt sein, dass Gottes Liebe immer für uns reicht, und sogar noch genug für andere da ist?

Aus dem Wort Gottes wächst der Mut zum Bitten. Die Bitten stehen nicht an erster Stelle, da hätten sie sicher anders gelautet: „Herr, befreie uns von dem Maulkorb! Schütze uns! Ändere den Hohen Rat! Usw.“ Jetzt heißt es:

  • „Und nun, Herr, sie an ihr Drohen“. Gott sieht doch sowieso alles, warum soll er das Drohen ansehen? Wohl deshalb, weil Gottes Sehen immer ein Sehen voller Erbarmen und Gnade ist. Gott sieht den Sünder an und erbarmt sich über ihn. Gott sieht die Drohenden an und bewegt sie, will sie aus ihrer Feindschaft erlösen. Vielleicht hilft es auch unserem Gebet, wenn wir ihm die Umstände und Menschen ans Herz legen, auf die er (gnädig) sehen soll. Er möge auf die Peiniger der Christen in Nordkorea sehen und sich ihrer erbarmen, sie aus ihrer Feindschaft gegen den Herrn der Welt erlösen.
  • „Lass uns den Maulkorb abwerfen“. Mit dieser Bitte werfen die ersten Christen ihre Sicherheit über Bord. Sie werden durch Gottes Geist unerschrocken. Sie haben keine Angst mehr vor Hochwasser, das ihre ganzen Lebensumstände mitreißen könnte. So gebetet wurde in der Wendezeit. Und Gott hat erhört – friedlich die Wende herbeigeführt. So wird heute gebetet in Nordkorea. Noch sehen wir nichts von einer friedlichen Wende. Wir wissen aber von tausenden Christen in Zwangslagern. Es ist derselbe Gott, der Hochwasser schickt oder das Segelboot dümpeln lässt. Er führt uns zum Ziel, nur darauf kommt es offensichtlich an. Und sich diesen unberechenbaren Wegen Gottes auszusetzen, erfordert Mut, der von oben kommen muss, sonst hat er keinen Bestand.
  • „Schenke Heilung, Zeichen und Wunder“. Die Bitte um Heilung ist die zentrale Bitte der Bibel. Immer geht es um Heilung, wenn Gott Menschen berührt, sie in seine Nähe zieht, sie in die Nachfolge Jesu beruft. Er möchte uns heilen von der Heimatlosigkeit, Angst um uns selbst, Angst um andere, Not, die einhergeht, wenn wir nicht mit Gott in Beziehung sind. Wenn die junge Gemeinde um Heilung betet, stellt sie sich in Gottes Mission. Sie spricht Gottes Wunsch aus und macht ihn zu ihrem eigenen. Ist das auch unser Gebet? „Dein Wille geschehe“, beten wir das gemeinsam in der Erwartung, dass Gott heilt? Die erste Gemeinde betet auch um begleitende Zeichen und Wunder. Sie braucht diese Zeichen der Bestätigung, dass Gottes Geist sie in die richtige Richtung treibt.
Das Gemeindegebet ist eine Vorlage für unser Gebet. Wir sind eingeladen, für unsere Geschwister zu beten, die von Betonwänden umgeben sind und keinen Ausweg sehen. Wir können beten für die unter uns, denen es eng wird, die nicht mehr sehen, wo ein Weg in die Zukunft sich auftut. Wir können bitten um Mut, die Mauern zu überspringen und um Zeichen und Wunder, die diese Mauern zum Einsturz bringen, auf dass Heilung geschehen kann.

Der Versammlungsort der jungen Gemeinde erbebte. Das erste Zeichen Gottes machte ihnen klar, Gott kann Mauern zum Wanken und Einsturz bringen. Es wird einen Weg in die Zukunft geben. Der Heilige Geist ist stärker als alle Kräfte dieser Welt. 

Warum sollte unser einmütiges Gebet nicht auch erhört werden und Mauern zum Wanken bringen? Ob es die in Nordkorea sind oder solche bei uns, Gottes Kraft lässt uns auch im Gegenwind Zeugen seiner Liebe sein.

Harre, meine Seele, harre des Herrn! / Alles ihm befehle, hilft er doch so gern. / Wenn alles bricht, Gott verlässt uns nicht; / größer als der Helfer ist die Not ja nicht. / Ewige treue, Retter in Not, / rett auch unsre Seele, du treuer Gott!
Text: Johann Friedrich Räder 1845

Cornelia Trick


Home


Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
Internet-Adresse: http://www.predigt-online.de/prewo/prewo_kraftquelle_der_gemeinde.htm