Singen auf Hoffnung (Jesaja 12,1-6)
Gottesdienst am 12.2.2017 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und  Brüder,
dieses Wochenende wird in unserer Gemeinde hauptsächlich gesungen. Die Chor-Werkstatt übte gestern den ganzen Nachmittag und wird heute Nachmittag zum Konzert einladen. Zwischen diesen beiden Einsätzen ist unser Gottesdienst heute wie ein „Time-Out“ beim Handball. Wir bekommen eine kleine Pause, in der wir uns wieder neu sammeln, orientieren und organisieren können. Unser Trainer spricht zu uns und schweißt uns als Mannschaft zusammen. So singen wir in der Chor-Werkstatt nicht einfach schwarze Noten und Buchstaben von weißen Blättern ab, sondern werden von unserem Trainer Jesus hingewiesen, dass wir diese Lieder singen, um ihm unsere Herzen und die Herzen der Zuhörenden zu öffnen. 

Sozusagen als Trainer-Ansprache dient uns heute ein Lied des Propheten Jesaja, das in schwieriger Lage gesungen wurde. Die Großmacht Assyrien hatte sich im 8.Jahrhundert wie eine Krake im Vorderen Orient ausgebreitet und verleibte sich nach und nach die kleinen Länder ein. Das Nordreich Israel wollte sich wehren, schloss Bündnisse mit den Nachbarstaaten und ist doch kläglich untergegangen. Im Südreich Juda wirkte Jesaja als Prophet und kritisches Korrektiv der Königs. Er warnte nach diesen Erfahrungen vor militärischen Aktionen. Gott allein konnte helfen, an ihn sollten sich die Leute wieder wenden und ihre eigenmächtigen Wege verlassen.

Das Lied des Jesaja nimmt Gottes Rettung schon vorweg. Wohl nur im Singen kann dies geschehen. Wenn wir singen, eignen wir uns einen fremden Text an. Wir tasten uns in Trost und Zuversicht, Lob und Freude hinein. Der fremde Text wird zu unserem eigenen, wir haben ihn im Herzen und auf unseren Lippen. Auf einmal stehen wir Sänger für diesen Text, sind lebendige Zeugen, dass er stimmt. Der Chor wird Botschafter des Inhalts.

Wenn wir jetzt das Lied des Jesaja betrachten, kann genau dies geschehen. Das Lied redet zu uns, bewegt uns, wird zu unserem Lied – für andere.

Jesaja 12,1-6
Zu der Zeit wirst du sagen:
Ich danke dir, HERR! Du bist zornig gewesen über mich.
Möge dein Zorn sich abkehren, dass du mich tröstest.
Siehe, Gott ist mein Heil,
ich bin sicher und fürchte mich nicht;
denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm
und ist mein Heil.
Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen
aus den Brunnen des Heils.
Und ihr werdet sagen zu der Zeit: Danket dem HERRN,
rufet an seinen Namen!
Machet kund unter den Völkern sein Tun,
verkündiget, wie sein Name so hoch ist!
Lobsinget dem HERRN, denn er hat sich herrlich bewiesen.
Solches sei kund in allen Landen!
Jauchze und rühme, die du wohnst auf Zion;
denn der Heilige Israels ist groß bei dir!

Ein Zukunftslied
Noch ist unsicher, wie die politische Entwicklung weitergeht, zum Heil oder zum Unheil für Juda. Das Lied singt über den Ist-Zustand hinaus und nimmt die Zukunft in den Blick. Von dieser Zukunft her wird die Gegenwart beleuchtet. Die Bedrohung wird als Zorn Gottes interpretiert, der auf das treulose Verhalten der Menschen reagierte. Der Prophet stellt sich voll hinein in das Volk, er spricht in der „Ich“-Form und lädt uns dadurch ein, sein Lied mitzusingen. 

Was können wir heute unter dem Zorn Gottes verstehen? Es ist wohl eine sehr menschliche Redeweise von Gott. Wenn seine Liebe mit Füßen getreten und sein Vertrauen enttäuscht wird, stellt sich der Prophet einen zornigen Gott vor, dessen Liebe in Wut umschlägt. Enttäuschte Liebe könnte auch tiefe Traurigkeit statt Wut nach sich ziehen. Vielleicht würden wir heute nicht mehr vom Zorn Gottes reden, stellen wir uns dabei doch ein ungezügeltes Wesen vor, dass schäumt und überreagiert, zerschlägt und wütet ohne Verstand. Vielleicht würden wir eher von Gottes Resignation sprechen. Wenn er am Projekt Mensch resigniert, lässt er den Menschen, die Menschheit laufen, gibt sie auf, statt ständig hinter ihr her zu rennen. Er lässt die Menschen in ihr selbst gewähltes Unglück rennen.

So könnten wir diese Liedzeile so formulieren: „Ich danke dir, Herr! Du hast mich aufgegeben und aus deinen Segenshänden laufen lassen. Mögest du wieder neu nach mir suchen, mich aus dem Dunkel ohne dich reißen, dass du mich tröstest!“

Die Bitte führt zur Selbsterkenntnis: Wo bin ich aus Gottes Segenhänden gelaufen? Wo habe ich mein eigenes Ding gedreht, ohne nach oben zu schauen? Wann habe ich meinen eigenen Plänen mehr vertraut, als nach Gottes Wegen zu fragen? Wo habe ich Beratende zurückgewiesen, bin stur und blind in Sackgassen gelaufen oder bin ängstlich und mutlos am Weg liegen geblieben?

Die Zukunft aneignen
Gott will mich in seine Gemeinschaft zurückhaben. So drückt es das Lied aus: Gott ist mein Heil. Heil und Helfer haben im Hebräischen den gleichen Wortstamm, der auch in den Namen Jesaja und Jesus enthalten ist. Die Hilfe Gottes lässt heil werden. Heil zu sein, bedeutet, mit sich im Reinen zu sein, versöhnt zu sein und ohne Angst zu leben. Denn die Segenshände schützen. Wir sind nicht allein, sondern geborgen. Dieses Leben hier auf der Erde ist nicht alles. Unser Lebensfaden ist in Gottes Händen. Wir stricken den Pulli des Lebens, aber er wird niemals fertig. Das letzte Stück strickt immer Gott selbst und vollendet unser Leben in Ewigkeit. 

Vor einigen Tagen stieß ich zufällig auf die Sendung 37 Grad. Erzählt wurden Schicksale von verschiedenen Menschen, die sich mit dem Thema Sterbehilfe beschäftigten. Eine Frau Anfang 40 wurde interviewt, sie war alleinerziehend und hatte zwei Kinder. Während der Wochen, in denen sie das Fernsehteam begleitete, stellte sie immer wieder die Frage: „Was soll aus meinen Kindern ohne mich werden?“ Verzweifelt klammerte sie sich an das Leben und erwähnte mit keinem Wort ihr eigenes Befinden. Nur ihre Kinder beschäftigten sie. Wie gut konnte ich das nachvollziehen. Ja, wenn keine weiteren engen Verwandten da sind, wie soll das gehen ohne Mutter? Genau in diese Fragen trifft das Lied: Gott ist mein Heil. Jesus als sichtbare Segenshand Gottes gibt uns die Sicherheit, dass nichts uns aus Gottes Liebe reißen kann. Dass er sich um unser kleines Leben, aber auch um das Leben unserer Lieben kümmert. Was für ein großer Unterschied, mein Leben und das meiner Lieben umfangen von Segenshänden Gottes zu wissen oder nicht. 

Gott ist meine Stärke, mein Psalm, mein Heil. Ein Bekannter bekam die niederschmetternde Diagnose, dass mehrere seiner Wirbel in sich zusammengefallen waren. Sein Rückgrat hatte nicht mehr die Stabilität, den Körper zu halten. Wie konnte er überhaupt weiterleben? Ihm wurde ein Korsett angepasst, das seinen Rücken stabilisierte und praktisch zu einer zweiten Wirbelsäule wurde. Diese Stärke bietet uns Gott an. Er will unser Korsett sein, das uns trägt und uns hilft zu leben.

Natürlich sind wir in der Gefahr, es lieber ohne Korsett zu probieren. So ein Ding ist lästig, man schwitzt, die Kleider passen nicht mehr richtig, man kommt sich irgendwie doof vor. Und natürlich hat man auch die Hoffnung, dass die Wirbel sich wieder regenerieren, alles nur ein böser Traum war. Aber mein Bekannter merkte sehr schnell, ohne Korsett war einfach nichts zu machen. Er brauchte diese Stärke von außen. Wir brauchen sie auch. Wir brauchen täglichen Zuspruch, Erfahrungen der Gottesnähe und Zeugnisse von anderen, die Gott erleben und das mit uns teilen. Wir sind angewiesen auf Gottes Halt und seine Stopp-Schilder. Ohne sie rennen wir in die falsche Richtung, oft so überaktiv, dass wir Hamstern im Rad gleichen.

Was es bedeutet, Gott wie ein Korsett in mein Leben zu lassen, bringt das Lied auf den Punkt. Gott ist mein Lied. Erst mal ist er ein fremder Text, eine fremde Melodie, die ich mir aneignen muss. Nicht alle Passagen sind einfach zu singen. Manche Töne muss ich üben, mich in Gottes Willen hinein fühlen, aus Fehlern lernen. Aber das Lied zieht mich heraus aus dem Grübeln und dem alten Trott. Das Miteinander-Singen im Chor stützt mich zusätzlich. Da sind andere, die mir im Glauben ein Vorbild sind, von ihnen kann ich lernen. Andere lernen von mir, gemeinsam gelingt uns das Singen und Glauben besser. 

Gott ist mein Heil. Schon wieder besingt Jesaja die Hilfe Gottes. Mag sein, er will damit deutlich machen, dass es mit einmaliger Hilfe nicht getan ist. Die Rettung aus einer akuten Lebensnot kann ein einschneidendes Erlebnis sein. Bleibt es das einzige, wird es bald verblassen. Mit jeder Hilfe gräbt sich Gott tiefer in unser Herz, kommt in neue Schichten und kann umso tiefer heilen. Das braucht Zeit und ist ein Prozess.

Das persönliche Lied wendet sich zum Du
Jesaja wechselt vom Ich zum Ihr. Er singt anderen seine Erfahrung zu und ermutigt sie, aus den Quellen der Hilfe zu schöpfen, die nie versiegen. Wir werden an Jesus erinnert, der eine Frau aus Samarien an einem Brunnen in ein Gespräch verwickelt. Er bietet ihr lebendiges Wasser an, das nicht mehr durstig macht. Er bietet sich selbst an als der, der ihrem Leben tiefen Sinn und Frieden gibt.

„Seht, Gott für uns!“ , so lautet der Titel des Konzerts der Chor-Werkstatt. Die eigene Erfahrung wird zum Appell, diesen Gott in Jesus Christus an sich heran zu lassen, aus seiner Quelle zu schöpfen.

Singen ist nicht nur Kirchenmusik, sondern Weltmusik. Die Gemeinde – Jesaja redet in seinen Bildern von der Zionsstadt – nimmt vorweg, was im Himmel sein wird und das geht alle an:
Gott spricht: „Ich bin der Anfang und das Ende. Ich will den Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ (Offenbarung 21)

Cornelia Trick


Home


Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
Internet-Adresse: http://www.predigt-online.de/prewo/prewo_singen_auf_hoffnung.htm