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Liebe Gemeinde, liebe Schwestern
und Brüder,
Sozusagen als Trainer-Ansprache dient uns heute ein Lied des Propheten Jesaja, das in schwieriger Lage gesungen wurde. Die Großmacht Assyrien hatte sich im 8.Jahrhundert wie eine Krake im Vorderen Orient ausgebreitet und verleibte sich nach und nach die kleinen Länder ein. Das Nordreich Israel wollte sich wehren, schloss Bündnisse mit den Nachbarstaaten und ist doch kläglich untergegangen. Im Südreich Juda wirkte Jesaja als Prophet und kritisches Korrektiv der Königs. Er warnte nach diesen Erfahrungen vor militärischen Aktionen. Gott allein konnte helfen, an ihn sollten sich die Leute wieder wenden und ihre eigenmächtigen Wege verlassen. Das Lied des Jesaja nimmt Gottes Rettung schon vorweg. Wohl nur im Singen kann dies geschehen. Wenn wir singen, eignen wir uns einen fremden Text an. Wir tasten uns in Trost und Zuversicht, Lob und Freude hinein. Der fremde Text wird zu unserem eigenen, wir haben ihn im Herzen und auf unseren Lippen. Auf einmal stehen wir Sänger für diesen Text, sind lebendige Zeugen, dass er stimmt. Der Chor wird Botschafter des Inhalts. Wenn wir jetzt das Lied des Jesaja betrachten, kann genau dies geschehen. Das Lied redet zu uns, bewegt uns, wird zu unserem Lied – für andere. Jesaja 12,1-6
Ein Zukunftslied
Was können wir heute unter dem Zorn Gottes verstehen? Es ist wohl eine sehr menschliche Redeweise von Gott. Wenn seine Liebe mit Füßen getreten und sein Vertrauen enttäuscht wird, stellt sich der Prophet einen zornigen Gott vor, dessen Liebe in Wut umschlägt. Enttäuschte Liebe könnte auch tiefe Traurigkeit statt Wut nach sich ziehen. Vielleicht würden wir heute nicht mehr vom Zorn Gottes reden, stellen wir uns dabei doch ein ungezügeltes Wesen vor, dass schäumt und überreagiert, zerschlägt und wütet ohne Verstand. Vielleicht würden wir eher von Gottes Resignation sprechen. Wenn er am Projekt Mensch resigniert, lässt er den Menschen, die Menschheit laufen, gibt sie auf, statt ständig hinter ihr her zu rennen. Er lässt die Menschen in ihr selbst gewähltes Unglück rennen. So könnten wir diese Liedzeile so formulieren: „Ich danke dir, Herr! Du hast mich aufgegeben und aus deinen Segenshänden laufen lassen. Mögest du wieder neu nach mir suchen, mich aus dem Dunkel ohne dich reißen, dass du mich tröstest!“ Die Bitte führt zur Selbsterkenntnis: Wo bin ich aus Gottes Segenhänden gelaufen? Wo habe ich mein eigenes Ding gedreht, ohne nach oben zu schauen? Wann habe ich meinen eigenen Plänen mehr vertraut, als nach Gottes Wegen zu fragen? Wo habe ich Beratende zurückgewiesen, bin stur und blind in Sackgassen gelaufen oder bin ängstlich und mutlos am Weg liegen geblieben? Die Zukunft aneignen
Vor einigen Tagen stieß ich zufällig auf die Sendung 37 Grad. Erzählt wurden Schicksale von verschiedenen Menschen, die sich mit dem Thema Sterbehilfe beschäftigten. Eine Frau Anfang 40 wurde interviewt, sie war alleinerziehend und hatte zwei Kinder. Während der Wochen, in denen sie das Fernsehteam begleitete, stellte sie immer wieder die Frage: „Was soll aus meinen Kindern ohne mich werden?“ Verzweifelt klammerte sie sich an das Leben und erwähnte mit keinem Wort ihr eigenes Befinden. Nur ihre Kinder beschäftigten sie. Wie gut konnte ich das nachvollziehen. Ja, wenn keine weiteren engen Verwandten da sind, wie soll das gehen ohne Mutter? Genau in diese Fragen trifft das Lied: Gott ist mein Heil. Jesus als sichtbare Segenshand Gottes gibt uns die Sicherheit, dass nichts uns aus Gottes Liebe reißen kann. Dass er sich um unser kleines Leben, aber auch um das Leben unserer Lieben kümmert. Was für ein großer Unterschied, mein Leben und das meiner Lieben umfangen von Segenshänden Gottes zu wissen oder nicht. Gott ist meine Stärke, mein Psalm, mein Heil. Ein Bekannter bekam die niederschmetternde Diagnose, dass mehrere seiner Wirbel in sich zusammengefallen waren. Sein Rückgrat hatte nicht mehr die Stabilität, den Körper zu halten. Wie konnte er überhaupt weiterleben? Ihm wurde ein Korsett angepasst, das seinen Rücken stabilisierte und praktisch zu einer zweiten Wirbelsäule wurde. Diese Stärke bietet uns Gott an. Er will unser Korsett sein, das uns trägt und uns hilft zu leben. Natürlich sind wir in der Gefahr, es lieber ohne Korsett zu probieren. So ein Ding ist lästig, man schwitzt, die Kleider passen nicht mehr richtig, man kommt sich irgendwie doof vor. Und natürlich hat man auch die Hoffnung, dass die Wirbel sich wieder regenerieren, alles nur ein böser Traum war. Aber mein Bekannter merkte sehr schnell, ohne Korsett war einfach nichts zu machen. Er brauchte diese Stärke von außen. Wir brauchen sie auch. Wir brauchen täglichen Zuspruch, Erfahrungen der Gottesnähe und Zeugnisse von anderen, die Gott erleben und das mit uns teilen. Wir sind angewiesen auf Gottes Halt und seine Stopp-Schilder. Ohne sie rennen wir in die falsche Richtung, oft so überaktiv, dass wir Hamstern im Rad gleichen. Was es bedeutet, Gott wie ein Korsett in mein Leben zu lassen, bringt das Lied auf den Punkt. Gott ist mein Lied. Erst mal ist er ein fremder Text, eine fremde Melodie, die ich mir aneignen muss. Nicht alle Passagen sind einfach zu singen. Manche Töne muss ich üben, mich in Gottes Willen hinein fühlen, aus Fehlern lernen. Aber das Lied zieht mich heraus aus dem Grübeln und dem alten Trott. Das Miteinander-Singen im Chor stützt mich zusätzlich. Da sind andere, die mir im Glauben ein Vorbild sind, von ihnen kann ich lernen. Andere lernen von mir, gemeinsam gelingt uns das Singen und Glauben besser. Gott ist mein Heil. Schon wieder besingt Jesaja die Hilfe Gottes. Mag sein, er will damit deutlich machen, dass es mit einmaliger Hilfe nicht getan ist. Die Rettung aus einer akuten Lebensnot kann ein einschneidendes Erlebnis sein. Bleibt es das einzige, wird es bald verblassen. Mit jeder Hilfe gräbt sich Gott tiefer in unser Herz, kommt in neue Schichten und kann umso tiefer heilen. Das braucht Zeit und ist ein Prozess. Das persönliche Lied
wendet sich zum Du
„Seht, Gott für uns!“ , so lautet der Titel des Konzerts der Chor-Werkstatt. Die eigene Erfahrung wird zum Appell, diesen Gott in Jesus Christus an sich heran zu lassen, aus seiner Quelle zu schöpfen. Singen ist nicht nur Kirchenmusik,
sondern Weltmusik. Die Gemeinde – Jesaja redet in seinen Bildern von der
Zionsstadt – nimmt vorweg, was im Himmel sein wird und das geht alle an:
Cornelia
Trick
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